Gerd Bucerius. Wem gehört die Pressefreiheit?

Am 19. Mai 1906 wurde Gerd Bucerius in Hamm in Westfalen geboren. Die ersten zwei Jahre seines Lebens verbrachte er zusammen mit seinen Eltern Maria und dem Rechtsanwalt Walter Bucerius in dieser Stadt an der Lippe. Eine Informationstafel an seinem Geburtshaus in der Weststraße 8 erinnert an den bekannten Publizisten und Verleger des Hamburger Magazins DIE ZEIT.

Fiktionaler Text, den ich anlässlich einer Veranstaltung zum 100. Geburtstag im Jahre 2006 geschrieben habe:

Wem gehört die Pressefreiheit?

Das ist ja unglaublich, schnaubte er, schob die Postmappe weg,
sprang vom Schreibtisch auf und rannte im Zimmer hin und her.
Die ZEIT nicht interessiert an Anzeigen?
Lebensversicherungsplan in der ZEIT sehr schlecht besprochen?
Welcher Redakteur hatte diesen Artikel geschrieben?
Er lief zum Schreibtisch zurück,
griff den Telefonhörer und drehte die Wählscheibe.
Doch bevor sich in der Redaktion jemand melden konnte, knallte er den Hörer zurück auf die Gabel und nahm das Schreiben aus der Mappe.
Während er umherging, las er noch einmal den Text:

„Sehr geehrter Herr Doktor Bucerius,

Herr Generaldirektor Werner übergab uns Ihren Brief vom 14. Mai des Jahres, mit dem Sie darum bitten, daß unser Haus seine Finanzanzeigen auch in der ZEIT veröffentlicht.
Nun hat die ZEIT in ihrer vorletzten Ausgabe unseren neuen Lebensversicherungsplan 34c sehr schlecht besprochen.
Ich nehme an, dass Sie unter diesen Umständen auch an Anzeigen unseres Hauses nicht interessiert sind.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Albert – Generalsekretariat“

Gerd Bucerius holte tief Luft.
Das ging entschieden zu weit.
Eine Frechheit war das.
Er setzte sich zurück an seinen Schreibtisch und dachte nach.
Nein, mit der Redaktion wollte er jetzt nicht reden.
Völlig unwichtig, wer diesen Artikel geschrieben hatte.
Was hatten journalistische Inhalte mit Anzeigen zu tun?
Hier musste er als Verleger reagieren.
Diese Unverfrorenheit gehörte an die Öffentlichkeit.
Er selbst würde einen Artikel für die nächste Ausgabe der ZEIT darüber schreiben. Dann könnte jeder mit eigenen Augen lesen, wie korrupt hier ein Unternehmen versuchte, Einfluss auf die Presse zu nehmen.
Er schraubte den Füllhalter auf und notierte seine Gedanken:

Wie wird ein Presseorgan finanziert?
Was sind die Aufgaben eines Verlegers?
Welche Freiheiten haben Redakteure und wo sind ihre Grenzen?
Können Verleger ihren Redakteuren vorschreiben, was sie schreiben?
Können Anzeigenkunden Verlegern vorschreiben, was ihre Redakteure zu schreiben oder nicht zu schreiben haben?
Wem gehört eigentlich die Pressefreiheit?

Er legte den Füllhalter zur Seite.
Ein Unternehmen öffentlich bloßstellen?
Nein, ein Artikel war nicht der richtige Weg.
Nichts als Ärger würde das bringen. Wäre im Übrigen auch nicht klug, in der jetzigen Finanzsituation. Ein Bumerang wäre das. Die ZEIT benötigte dringend jede Mark. Denn da bliebe immer noch die drückende Frage: Wie kommt die ZEIT aus ihrem finanziellen Loch heraus?

Einen Termin machen mit dem Generaldirektor und dem Chef der Werbeabteilung. Ein Gespräch führen. In Ruhe die Gegenseite anhören und sachlich seinen Standpunkt darstellen.
Keine Verquickung der Kompetenzen von Verlag und Redaktion.
Klare Trennung, doch…
Eigentlich selbstverständlich in demokratischen Strukturen.
Wegen einer Selbstverständlichkeit sollte er zu Kreuze kriechen?
Auf gar keinen Fall würde er das tun.
Bei den Unternehmungen würde sich das herumsprechen und man würde immer wieder versuchen, ihn und seine Mitarbeiter unter Druck zu setzen. Ja, er hatte um Finanzanzeigen in der ZEIT gebeten.
Ja, die ZEIT brauchte Geld und musste Anzeigen verkaufen,
aber nicht um jeden Preis.

Einige Tage später hatte er die Antwort formuliert und bat seine Sekretärin zum Diktat:

„Sehr geehrter Herr Albert,
freundlichen Dank für Ihren Brief vom 20. Mai. In Ihrem Hause ist es nicht ganz klar, dass Redaktion und Anzeigenabteilung einer Zeitung scharf getrennt sind. Damit sich solche Mißverständnisse nicht wieder ereignen, habe ich die Anzeigenabteilung der ZEIT angewiesen, Anzeigen Ihres Hauses nicht mehr entgegenzunehmen.“

(Die kursiv gesetzten Textstellen sind zitiert aus: Gerd Bucerius: Der angeklagte Verleger, München 1974, S. 14-15)

©Renate Hupfeld 11/2006

Mehr Bilder zur Geburtsstadt von Gerd Bucerius gibt’s hier:
Hammfiction

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Hartmut Lange: „Im Museum“

Einmal Geschehenes kann man nicht zurückholen, auch nicht, indem man Exponate aus vergangenen Zeiten im Museum präsentiert. Da ist das Kleidungsstück fein ausgestellt, doch der Mensch, der vor Jahrhunderten darin steckte, bleibt für immer verschwunden. Ist es denn verrückt, wenn in Erzählungen Gestalten aus vergangenen Epochen in einem Museum lebendig werden? ‚Die Literatur hat ihren eigenen Wahrheitsgrund‘, meint Hartmut Lange und lässt in den sieben Kapiteln seines Bändchens ‚Im Museum. Unheimliche Begebenheiten‘ Protagonisten aus den Tiefen der Geschichte, Museumspersonal und Besucher einander begegnen. Es ist wahrhaft mysteriös, was sich in Hallen, Gängen, Korridoren, auf Treppen und Emporen des Deutschen Historischen Museums in Berlin abspielt.

Wer hätte als Besucher einer Ausstellung nicht schon einmal darüber nachgedacht, was in jemandem vorgeht, dessen Aufgabe darin besteht, Exponate zu bewachen? Zum Beispiel die Frau, die Tag für Tag unauffällig ihre Arbeit neben der Statue Carls des Großen macht. In Langes Geschichte bekommt sie einen Namen und sitzt nach Feierabend auf ihrem Sofa. Wir sind dabei, wie die höchst zuverlässige Frau Bachmann auf der Suche nach der Ursache eines Luftzuges die abendliche Schließung des Gebäudes verpasst, die Nacht im Museum verbringt und spurlos verschwindet. Und da ist Aufseherkollege Klinger, zu DDR Zeiten Leutnant der Staatsicherheit. Als Aufpasser sieht er sich nun mit einem ‚Schuppen voller Plunder‘ konfrontiert. Ihn zieht es in einen Geheimgang im Keller des Hauses, in den er einen arglosen Besucher locken und einen fiesen Plan verwirklichen will.

In nächtlicher Stille wäre das ‚Gluckern in den Heizkörpern‘ und das ‚Knacken unter dem Fußboden‘ ganz normal, wäre da nicht der Schatten eines Mannes mit Militärkappe, der zu Lebzeiten in seinem Rassenwahn Deutschland und Europa terrorisierte. Nacht für Nacht geistert er ruhelos durch die Ausstellungsräume. Die Darstellung eines anderen Despoten lässt ihm keine Ruhe. Da wird das Bildnis Napoleon Bonapartes kostbar mit Brokat und Lorbeerkranz präsentiert, er hingegen ‚wie ein Paria‘ in den Keller verbannt.

Wenn ein Herr Polenz nach Feierabend in die von der Frau verlassene Wohnung kommt, einen Zettel vorfindet, und danach ohne besondere Absicht das Deutsche Historische Museum betritt, ahne ich schon Verwicklungen. Wie ist es möglich, dass weder die Drehtür zum Festungsgraben noch die zum Boulevard Unter den Linden ihn wieder herauslässt und er sein zu Hause im Flur abgestelltes Fagott und die Querflöte im notbeleuchteten Museumsfoyer entdeckt? Und es hat auch etwas Skurriles, wenn eine Frau aus dem 19. Jahrhundert ihrer kleinen Tochter erklärt, warum sie vor der ratternden Rolltreppe keine Angst haben muss und wenn ein junger Volontär mitten in der Nacht heimlich zuschaut, wie jene Mutter und ihr Kind auf den Fliesen im menschenleeren Schlüterhof sitzen und durch das Glasdach den Himmel anschauen.

Wie es sein kann, dass ein Foto von Rodins ‚Denker‘ immer wieder Risse und Kratzer bekommt, fragt sich ein Mitglied des Fördervereins in der letzten Story im Buch. Von einem gewaltsam zu Tode gekommenen Mann wird er darüber aufgeklärt, was sein Schicksal mit Denken zu tun hat. Die Parole ‚liberté, égalité, fraternité‘ hat ihm den Tod gebracht. ‚Und war es nicht tatsächlich so, dass sich das Töten durch die Perversion des Denkens bis in alle Ewigkeit fortsetzte?‘, resümiert der Erzähler.

In den sieben Erzählungen ‚Im Museum‘, die alle im Gebäude des Deutschen Historischen Museum in Berlin spielen, lässt der für seine herausragenden Novellen bekannte Autor Hartmut Lange Protagonisten aus der Gegenwart und aus verschiedenen Epochen einander begegnen und im Dialog miteinander auftreten. Am liebsten nachts bei Notbeleuchtung schickt er sie in den dunklen Korridor, vor die verschlossene Tür, die frisch verputzte Wand, ins Museumscafé, in den Schlüterhof und den ‚Gigantenhäuptern mit qualvoll aufgerissenen Mündern‘ und lässt sie an der verflixten Drehtür verzweifeln. Dabei spielt er souverän mit verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven, schlüpft mal in die Rolle des allwissenden Erzählers mal in die des einen oder anderen Protagonisten. Angenehm, mit welcher Selbstverständlichkeit ihm das fern jeder besserwisserischen Psychoschau gelingt. Beim wiederholten Lesen versuche ich mir zu erklären, mit welcher sprachlichen Raffinesse Hartmut Lange es schafft, diesen Sog zu erzeugen, der mich unwillkürlich am Text hält. Da ist der Widerspruch zwischen schnörkellosen, ja banal anmutenden Formulierungen und der gespannten Erwartung, welche Überraschung der Autor denn nun wieder für mich bereit hält. Und wie könnte ich nicht Abgründe wittern, wenn ein Kapitel so beginnt: ‚Ich gebe zu, ich mache mir unnötige Gedanken, und ich hatte unlängst die Gelegenheit, vor einem dunklen Korridor zu sitzen.‘ (C) Renate Hupfeld

Hartmut Lange: „Im Museum. Unheimliche Begebenheiten“ im Diogenes Verlag

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Kreuzblume und Domspitzen

Schon öfter hab ich mich beim Überqueren der Kölner Domplatte gefragt, was eigentlich das seltsam verschnörkelte Gebilde zwischen Treppe und Unter Fettenhennen bedeutet. Ich hab es mir mal genauer angesehen und Informationsschilder entdeckt, sogar in allen erdenklichen Sprachen. Darauf steht:

Modell der Kreuzblume
auf den Domtürmen
in Originalgröße
Symbol der Domvollendung 1880
Höhe 9,90 m Breite 4,60 m

Aha! Das hätte ich so nie in Verbindung gebracht, in viel zu großer Höhe befinden sich die Originale, auf dem Nordturm 149 m und Südturm 157 m. Diese Skulptur an der Treppe ist eine Nachbildung. An der werde ich nun nie mehr ahnungslos vorbeigehen.

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Ruprecht Frieling zu Theodor Althaus

Geschichtliche Fundgrube

Theodor Althaus wurde zwar nicht einmal 30 Jahre alt, aber seine Rolle in Deutschlands bürgerlich-demokratischer Revolution 1848 ist es wert, näher beleuchtet zu werden. Renate Hupfeld erfüllt diese Aufgabe mit gewissenhafter Recherche und bildhafter Sprache.

Althaus wird am 26.10.1822 in Detmold in eine klerikal-protestantische Familie geboren. Der Vater bekleidet später das Amt des Generalsuperintenden des Fürstentums Lippe, die Mutter war Tochter eines Bischofs. Schon früh zeigt sich die außergewöhnliche Begabung des Jungen, der ein Einser-Abitur hinlegt und mit 18 zum Studium der Theologie nach Bonn umzieht. An der Uni kommt er schnell in Berührung mit freigeistigen Tendenzen des Vormärz, der mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. in Preußen im Jahre 1840 zur vollen Blüte kommt. (Der König hatte die sogenannten Karlsbader Beschlüsse teilweise außer Kraft gesetzt und damit unwillentlich die Intitialzündung zum nationalen Aufbruch gegeben. Bei diesen Beschlüssen handelte es sich um die vom österreichischen Außenminister und späteren Staatskanzler Metternich betriebene Bespitzelung von liberalen und nationalen Kreisen.)

Der junge Student kommt in Kontakt mit kritischen Denkern, Philosophen und Literaten wie Gottfried Kinkel, Ernst Moritz Arndt, Georg Weerth, Hoffmann von Fallersleben, Georg Herwegh. Er nimmt an Diskussionsrunden, Denker-Clubs und Kränzchen teil, die ihm helfen, sich zu einem glühenden Demokraten zu entwickeln. Er schreibt Gedichte, Aufsätze und Theaterstücke. Erste Veröffentlichungen in Zeitungen folgen. Aus seinen Texten schimmert sein Traum von einer selbstbewussten deutschen Nation. Er hält wenig von den herrschenden monarchischen Strukturen und ihrem selbstherrlichen Absolutismus und fällt bald dadurch auf, dass er seine Klappe nicht halten kann.

Mit seinen Texten manövriert sich der junge Heißsporn allerdings bald ins gesellschaftliche Abseits. Er hat es nach Abschluß seines Studiums deshalb nicht immer leicht, seine Artikel in den meinungsbildenden Blättern unterzubringen. Nach Überlegungen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und Landpfarrer zu werden, muss er erkennen, dass er sich selbst diese Karriere verbaut hat. Also beschreitet er die Laufbahn aller freien Geister jener Tage: Er führt ein freies Literatenleben und verdient sein Geld mit dem Schreiben von Artikeln.

Die Märzrevolution des Jahres 1848 erlebt er unmittelbar in Berlin. Den vielen Toten setzt er mit seinen Artikeln ein literarisches Denkmal. Seine Würdigung des Freiheitskampfes des Bürgertums gegen den Absolutismus erscheint in der überregionalen Weser-Zeitung. Als »Bluttaufe der deutschen Freiheit« bezeichnet Althaus den Zoll der dramatischen Ereignisse jener Tage. Die Reaktion konservativer Kreise auf seine Arbeiten sind heftig: Mit Flugschriften und offenen Briefen wird gegen die Zeitung und seine Artikel polemisiert. Althaus schlüpft als Leitender Redakteur bei der »Zeitung für Norddeutschland« unter, die erstmals am 1. Januar 1849 erscheint. In seinen Beiträgen plädiert er für die Grundrechte des deutschen Volkes wie Meinungsfreiheit, Aufhebung der Stände, Presse- und Versammlungsreiheit, kurz all das, was wir heute als bürgerliche Grundrechte für selbstverständlich erachten.

Als am 28. März 1849 nach monatelangem Hickhack die Verfassung des deutschen Reiches verkündet wird, ist Althaus hoch zufrieden, weil er die Werte Vaterland, Einheit und Freiheit festgeschrieben sieht. Doch die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Am 14. Mai 1849 wird der aufmüpfige Redakteur verhaftet und wegen seiner engagierten Veröffentlichungen ins Gefängnis gesteckt und zu drei Jahren Haft verurteilt. Als er nach einem Jahr und einem Tag vorzeitig den Knast verlassen darf, ist er bereits ein kranker Mann. Am 2. April 1852 stirbt Theodor Althaus in Gotha und wird dort auch beigesetzt.

Autorin Renate Hupfeld versteht es in ihrem Buch ausgezeichnet, den Lebensweg des Freiheitskämpfers detailliert zu schildern. Sie zeigt dabei vor allem die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe auf, die den Frühmärz bestimmten. Ein geschichtlicher Überblick sowie ein Quellen-, Personen- und Literaturverzeichnis erleichtern die Orientierung im Thema. Schließlich fügte die Autorin zahlreiche Fotos von den Wirkungsstätten und Orten bei, die Theodor Althaus besuchte.

Die Veröffentlichung würdigt den Revolutionär Theodor Althaus, der sich mit jungen Jahren für den demokratischen Aufbruch Deutschlands einsetzte. Das Buch ist für jeden, der sich für neuere deutsche Geschichte interessiert, eine Fundgrube.

(C) Ruprecht Frieling

Theodor Althaus. Revolutionär in Deutschland

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„Das alte Köln“: Gereonsmühle

Vom Ebertplatz gehe ich durch das Eigelsteintor in mein altes Veedel, wo ich Ende der Sechziger wohnte, schlendere durch Weidengasse und Plankgasse, überquere die Ritterstraße an der Stelle, wo früher die Bäckerei Trompeter war und ich beim Senior in aller Herrgottsfrühe warme Brötchen bekam. Irgendwo links war der Klingelpütz. Das alte Stadtgefängnis wurde jedoch abgerissen, Wohnhäuser stehen da jetzt. Im Park steht ein runder Turm. Warum entdecke ich den erst jetzt? Er ist doch ziemlich alt. Ich gehe herum und staune: ein beachtliches Stück der alten Stadtmauer steht da. Hier war also im Mittelalter die Stadt Köln zu Ende. Ich befinde mich dann jetzt außerhalb, sozusagen vor den Toren der Stadt, wie der Hansaring rechts von mir. Entlang der Mauer gehe ich bis zum Klümpchenshof, am Gereonswall wieder hinein im die Stadt und noch einmal zum Turm, um ihn auch von der Innenseite zu fotografieren.

Und jetzt bin ich platt. Das ist nämlich genau die Ansicht, die ich bereits kenne aus dem Kalender vom Kölner Künstler Siegfried Glos, der in seinem Projekt „Das alte Köln“ in 54 Bildern alle Türme und Tore der mittelalterlichen Stadtmauer gemalt hat, so auch diesen Turm. Es ist die Gereonsmühle, eine alte Windmühle. Auf dem Gemälde von Herrn Glos hat sie sogar noch Flügel.

Wer mehr über Kölns mittelalterliche Stadtmauer, Türme, Tore und Windmühlen erfahren möchte, findet Bilder, Material und Informationen bei Siegfried Glos. Ich war in seinem Atelier am Thürmchenwall:
„Das alte Köln“

Meine kleine Tour durch das Eigelsteinviertel

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„Günter Peter Straschek. Emigration-Film-Politik“

Ein Projekt des österreichischen Filmemachers Günter Peter Straschek (1942-2009) steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Emigration-Film-Politik“ im Kölner Museum Ludwig. Es handelt sich um eine vom WDR produzierte TV Serie aus dem Jahre 1975 mit dem Titel „Filmemigration aus Nazideutschland“. Lebenswege Filmschaffender werden dokumentiert, die sich vor dem Naziterror in andere Länder retten mussten, vom Regisseur, Drehbuchautor, Produzenten, Komponisten und Schauspieler bis zum Cutter.

Die Präsentation verwirrt mich zunächst. In Gängen sind Skripten und Publikationen von Peter Straschek in Vitrinen ausgestellt, auf Leinwänden laufen seine frühen Kurzfilme, er liest den Brief des Komponisten Schoenberg und „Ein Western für den SDS“, die Studentenrevolte 1968 in Berlin.

Nun gut, suchend gehe ich herum, bis ich schließlich in einem warmrot gestalteten Raum in einen Sessel sinke und einige Episoden aus „Filmemigration aus Nazideutschland“ anschaue. Das ist echt interessant, wie sie von ihrer Filmarbeit in Spanien, Frankreich, Großbritannien und Hollywood erzählen, inzwischen alte Männer und Frauen, in einigen Fällen auch deren Hinterbliebene, Söhne oder Töchter. Und wie sie im Exil den Verlust von Heimat und Sprache erleben und irgendwann vor die Frage gestellt sind: Bleibe ich oder kehre ich zurück? Jede Geschichte so lebendig und spannend, ob unbekannt oder bekannt wie Lion Feuchtwanger, Brecht und Weigel, Franz Marischka, Fritz Kortner, Max Reinhardt und Fritz Lang, dessen Zeilen ich mitnehme: „Und wenn er dann nach Hause kommt, ist er daheim ein fremder Mann.“

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Ruprecht Frieling zu „Hammfiction“

Coole Geschichten mit Format

Gleitet man mit dem Auto auf der A 2 aus Richtung Hannover Richtung Dortmund an B*e*e*e*d vorüber, der Stadt, die er nicht gibt und bisweilen auch Bielefake geheißen wird und nähert sich Beckum, jenem Ort, der durch die Schildbürger berühmt wurde, dann ist man fast am Ziel: in Hamm, einer Stadt, die bisher noch keinen nennenswerten Ruf als literarische Metropole kassieren durfte.

Dass dies nicht ewig so bleibt, ist Renate Hupfeld zu verdanken, die in der westfälischen Stadt am Ostrand des Ruhrgebietes unter einem Dach mit einem Hammamunga lebt. Hammamunga? Ist das ein Geschöpf wirrer Fantasie oder sind es Geschichten, die eben nur in Hamm entstehen, wachsen und gedeihen können? Ich entscheide mich für letzteres. Dabei haben die Storys, die von der Autorin in »Hammfiction« versammelt wurden, auf den ersten Blick nur mittelbar mit der Stadt und ihren Bewohnern zu tun, sieht man einmal ab von der wundervollen Erzählung, wie sieben Tiere auf den städtischen Marktplatz kamen und dort zu Bronze wurden. Es sind vielmehr feine Beobachtungen und Schilderungen, die auch in anderen Städten mit Kirchturm, Bahnhof und Fußgängerzone aufgezeichnet worden sein könnten.

Dabei erweist sich die Autorin als aufmerksame Chronistin, die auch in der kleinen und stillen Begegnung Tiefe findet und daraus schöpft. So beobachtet sie den lästigen Schnorrer, der einen Passanten vom Bahnhof bis in ein Café verfolgt und nervt, bis dem der Kragen platzt. Oder sie schildert eine Lehrerin, die mit einem verhaltensauffälligen Schüler lautstark zusammenprallt und dabei verletzt wird.

Meine Lieblingsgeschichte in dieser Sammlung handelt von dem Besuch zweier kleiner Mädchen bei dem Vater eines Freundes, der gerade von Frau und Sohn verlassen wurde. Der Mann delektiert sich daran, zuzusehen, wie sich seine Fische gegenseitig massakrieren. Erschüttert suchen die Mädchen das Weite. Diese Geschichte hat Ray-Bradbury-Format, und schon aus diesem kühlen Grunde ist dieses kleine Elektrobuch für mich ein Treffer.

(C) Ruprecht Frieling

Mehr Hammbilder gibt’s in Renates Hammfiction Blog

Hier könnt ihr die kleine Sammlung downloaden: Hammfiction

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Auf den Spuren von Karl Marx in Köln

Zu Beginn des Jahres begegnete ich beim Kurzbesuch einem berühmten Sohn der Stadt Trier. Karl Marx. Im Jahre 1818 wurde er hier geboren, also vor 200 Jahren. Bekannt, dieser Mann, sehr bekannt und mir doch so unbekannt. Obwohl ich mich durch meine Recherchen zu Theodor Althaus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch ganz gut auskenne. Ja, ich hab mich sogar gewundert, dass ich auf den Spuren von Robert Blum in Köln ein Exemplar der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in einer kleinen Vitrine des Kölnischen Stadtmuseums entdeckte. Mir war in Vormärz und Revolution 1848 vor allem die „Kölnische Zeitung“ bekannt durch Begegnungen meines Protagonisten Theodor Althaus mit deren Redakteuren Karl Heinrich Brüggemann und Levin Schücking.

Keine Rede von Karl Marx. Dabei war der doch auch zur Zeit des Vormärz in Köln aktiv, als Redakteur der „Rheinischen Zeitung“ in der Schildergasse, heute eine der meistbesuchten Einkaufsmeilen. Doch die „Rheinische Zeitung“ wurde wegen radikaler Systemkritik von den preußischen Zensurbehörden verboten. Karl Marx verließ Deutschland. Als nach den Märzereignissen des Jahres 1848 die Pressezensur aufgehoben wurde, kam er zurück nach Köln und gründete die „Neue Rheinische Zeitung“, deren Redaktion sich in einem Haus am Heumarkt befand. Ein Informationsschild am Haus Nr. 65 erinnert:

„Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie
Hier befand sich vom 28. August 1848
bis 19. Mai 1849 die Redaktion der ‚Neuen
Rheinischen Zeitung‘. Unter Leitung
von Karl Marx wirkten Heinrich Bürgers,
Ernst Dronke, Friedrich Engels,
Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth,
Ferdinand Wolff und Wilhelm Wolff
an einem der bedeutendsten
Blätter der demokratischen Bewegung
in der Revolution von 1848/49“

Einige Monate zuvor hatte Karl Marx zusammen mit Friedrich Engels das „Manifest der Kommunistischen Partei“ verfasst. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“, heißt es da zu Beginn und zum Schluss: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“. Ich denke mal an die Gegenwart, sehe von den Formulierungen des historischen Textes ab und sage: Wenn 20% der Menschen vieles besitzen, sollten die besitzlosen 80% den Zustand beenden.

Nach Niederschlagung der Aufstände um die Kämpfe für die Reichsverfassung durch preußische Truppen (Dresden, Pfalz, Iserlohn, Rheinland) erschien im Mai 1849 die letzte Ausgabe der „Neuen Rheinischen Zeitung“, ganz in rot gedruckt. Gegen die Redakteure wurden gerichtliche Verfahren eingeleitet, einige wählten das Exil. Karl Marx verließ abermals die Stadt Köln, ging nach London und blieb dort bis zu seinem Tod im Jahre 1883.

Spuren von Robert Blum in Köln
Warum Theodor Althaus?

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„James Rosenquist. Eintauchen ins Bild“

Licht und Schatten, verwirrendes Blätterwerk in Schwarz und Weiß, farbige Strahlen aus einer Mitte, die wie eine Blume aussieht. Ist diese Mitte das Nadelöhr und die runde Scheibe der Amboss? „Through the Eye of the Needle to the Anvil“ heißt das Bild von 1988. Gehören die wunderschönen hellblauen glänzenden Highheels der Mutter des Künstlers? Da ist noch ein kleines schwarzes Kästchen, weit oben versteckt in einer Blattpflanze über den blauen Highheels. „after all awe of itself is death“ steht da weiß auf schwarz (Katalog S. 214). Ja, eine Hommage an seine Mutter. In ihrem Todesjahr hat Rosenquist das Panoramabild gemalt. Im Museum Ludwig in Köln bildet es den Auftakt zur großen Retrospektive „James Rosenquist. Eintauchen ins Bild“, der ersten Ausstellung nach seinem Tod im März 2017.

Rosenquists künstlerische Anfänge in New York sind geprägt von seiner Arbeit als billboard painter am Times Squares und am Broadway. Da hatte er gelernt, Objekte werbewirksam auf große Flächen zu bringen und Werbeanzeigen für seine gestalterische Arbeit zu nutzen. Dem Museum Ludwig ist es gelungen, entsprechende Anzeigen Werken aus den Sechzigern zuzuordnen, so die drei Motive des bekannten „President Elect“. Das Portrait von Präsident Kennedy entstammt einer Anzeige zur Wahlwerbung, das graue Kuchenstück einer für eine Backmischung und der Teil einer Karosserie der für einen Chevrolet. Interessant auch die drei Anzeigen, aus denen „I Love You with My Ford“ entstanden ist. Rosenquist wählt Ausschnitte, kippt das Frauengesicht in die Waagerechte und quetscht es zwischen den Kühler des Fordautos und die Spagetti.

Vor einigen Jahren begegnete ich in der Pop Art Sammlung des Museums Ludwig einem Werk, das mich besonders faszinierte. Ein Bildpanorama befand sich an allen vier Wänden eines Raumes. Ich fühlte mich umgeben von Licht, Farben, Glanz. Scheuklappen wegreißen, Irrwege verlassen, sagte ich mir später und wurde bei jedem Besuch im Ludwig erneut hineingezogen. Die Rauminstallation „Horse Blinders“, bestehend aus mehreren Paneelen, hat Rosenquist Ende der Sechziger geschaffen. Peter Ludwig kaufte sie komplett. Jetzt gehört sie zum Bestand des Museums Ludwig, wurde gerade aufwändig restauriert und ist Teil der Retrospektive. Das durchschnittene Telefonkabel entstammt einer Anzeige von „Western Electric“, erfahre ich nun im Quellenraum. Was soll das im Zusammenspiel mit dem schwarzen Rauch und dem Finger?

Jetzt wird’s politisch. Der amerikanische Kampfbomber F-111 jagt durch das gesamte Panorama über vier Wände dieser Rauminstallation von 1965, tangiert Autoreifen, Kuchen, Glühbirne, Mädchen mit Trockenhaube, Strandschirm über Atompilz und endet mit der Spitze im Spagettihaufen. Jagdbomber verknüpft mit Motiven aus der Konsumwelt. Es heißt, der F-111 wurde auch im Vietnamkrieg eingesetzt. Ja, spätestens zu dem Zeitpunkt wird klar, dass der Pop Art Künstler James Rosenquist einerseits Riesenflächen dekorativ bemalt, andererseits in seinen Bildern Abgründe der Gesellschaft vorführt. „Als nuanciertes, aber kühnes Statement stellte der Künstler in F-111 die Frage: Warum haben wir statt Schulen und Krankenhäusern lieber Bomben gebaut?“ (Katalog S. 113 unten)

Eine dritte Rauminstallation kommt mir völlig anders vor, als alles, was ich bisher von James Rosenquist gesehen habe. Farbig bemalte motivlose Streifen und silbernglänzende Folienbahnen im Wechsel über alle vier Wände. Ich gehe hinein und beginne, mich in den Folienstreifen zu spiegeln, bewege mich im Raum und verfolge fasziniert, wie sich das Zerrbild mit jeder Bewegung ändert. Ein Museumsaufpasser beobachtet mich amüsiert und zeigt mir ein Foto, das draußen hängt. Der Meister persönlich in seinem Atelier, wie er die Paneele aufstellt und von unten her Nebel aufsteigt. Im Katalog (S. 183) lese ich mehr dazu. Nach Rosenquists Vorstellung sollten sich die Leute fühlen wie Astronauten im All „looking in their monitors trying to find their way home“. Das erklärt nun den Titel „Horizon. Home Sweet Home“.

Bekannt ist Rosenquist ja vor allem für seine überdimensionalen Formate. Und davon kann ich in dieser Retrospektive etliche staunend bewundern, zum Beispiel „Time Dust – Black Hole“. Gegenstände aus verschiedenen Bereichen fliegen um das schwarze Loch herum. Ich erkenne eine Blechdose, ein Musikinstrument, Bleistifte und Steine, die womöglich irgendwann im Sog des schwarzen Lochs verschwinden. Auf der gegenüberliegenden Seite hängt das farbige Pendant mit weißem Loch in der Mitte. Das wohl größte Werk der Ausstellung ist Teil #1 vom dreiteiligen „The Swimmer in the Enono-mist“ mit 27 m Länge und 3,50 m Höhe, eine Auftragsarbeit für die deutsche Guggenheim Foundation Berlin. Den Titel nehme ich wörtlich und denke an den Schwimmer in der Welt des Wirtschaftsnebels.

Mit dem blinden Passagier, der bei Lichtgeschwindigkeit nach draußen späht, „The Stowaway Peers Out at the Speed of Light“ aus dem Milleniumjahr beende ich den Bericht über meine Eindrücke zu dieser grandiosen Ausstellung im Museum Ludwig und einem Zitat von Museumsdirektor und Kurator Yilmaz Dziewior: „Es ist dieser Widerspruch zwischen der Poppigkeit der heiteren, leuchtenden Farbwahl zu den mitunter abgrundtief dunklen Inhalten seiner Arbeiten…“ (Katalog S. 240)

„James Rosenquist. Eintauchen ins Bild“ im Museum Ludwig in Köln am 7. und 17. Dezember 2017

Katalog zur Ausstellung „James Rosenquist. Eintauchen ins Bild“, herausgegeben von Stephan Diederich und Yilmaz Dziewior, 2017 Museum Ludwig, Köln

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„Tintoretto – a star was born“

Vor 500 Jahren wurde Jacopo Tintoretto in Venedig geboren. Als Malergenie wurde er weltberühmt. „Tintoretto – a star was born“ ist der Titel einer Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Das Selbstportrait stammt aus dem Jahre 1547. Staunend stehe ich vor einigen Exponaten des Frühwerks, sehe und höre Geschichten von der Königin von Saba, die König Salomo besucht und reich beschenkt, die Heiligen Ludwig und Georg, der einer Prinzessin ins Dekolletee schaut, Eva im Paradies und Adam, der das Apfelangebot nicht ablehnen kann, den coolen Jesus mit hellem Gesicht beim Abendmahl und die Bekehrung des Saulus, bei der es drunter und drüber geht.

„Tintoretto – a star was born“ im Wallraf-Richartz-Museum in Köln am 14. Januar 2018

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