Leine-Heide Radtour

2015-05-23-Hannover3Unsere Tour entlang der Leine und durch die Lüneburger Heide begann am Pfingstsamstag mit dem IC und Reservierungen für acht Fahrräder von Hamm nach Hannover. Nach einem Gängelchen durch die Altstadt, Markt mit Kirche und altem Rathaus, die Leinstraße vor dem Leineschloss und über den Platz der Göttinger Sieben überquerten wir die Leine und fuhren entlang der Leinewiesen mit den bunten Nanas von Nikki de St. Phalle und samstäglichem Flohmarkt, der Herrenhäuser Allee, streiften die Herrenhäuser Gärten und die Orangerie und verließen die Stadt in nördliche Richtung.
2015-05-23-SchwarmstedtZwischen Schrebergärten und auf Fahrradwegen entlang einigermaßen befahrener Straßen in Stöcken erreichten wir das Dörfchen Engelbostel, streiften das Rollfeld des Flughafens Langenhagen, fuhren gemächlich durch Felder, Wiesen und Wäldchen und erreichten nach 40 Kilometern unser erstes Etappenziel, das schöne Städtchen Schwarmstedt, wo wir im Hotel eincheckten und uns in einer Bäckerei Café Kaffee und Kuchen genehmigten. Nach einem kleinen Rundgang konnten wir uns dann im sonnigen Biergarten neben der Kirche mit Blick auf ein aktuell bebrütetes Storchennest auf das Abendessen im Hotel Bertram freuen, das dann auch keine Wünsche offen ließ, vor allem auch nicht die veganen.
2015-05-24-BothmerDer Pfingstsonntag bescherte uns nach einem feinen Frühstücksbuffet strahlend blauen Himmel und lockte uns zeitig auf die Räder. Stadt war gestern, heute war Natur und Ruhe angesagt. Nach ein paar Kilometern hatten wir mit der Bothmer Mühle jetzt die idyllische Facette der Leine gefolgt vom Schloss Ahlden im Aller-Leine-Tal vor der Kamera. Nach einer längeren sonntagssonnigen Pause im Eiscafé in Bad Fallingbostel ging es weiter durch Felder, Wiesen und Wäldchen, bis wir nach 53 Kilometern unser Ziel Soltau erreichten. Nach Einchecken und kurzer Beinehochlegpause im Postillon ging es vorbei an der allerliebsten Fassade des Spielmuseums in die Fußgängerzone, wo wir an den kleinen Skulpturen auf Bänken und an Säulen einschließlich Eulenspiegel mit dem Schuhhaufen oben auf einem Seil unseren Spaß hatten.2015-05-24-Soltau1 Den Park nahmen wir noch mit, dann strebten wir doch der Genusszentrale an der Lüneburger Straße zu, wo wir gottlob vorher einen Tisch für 10 Leute bestellt hatten, denn es war sauvoll. Kein Wunder, auch hier wurden wirklich alle Wünsche für Speisen und Getränke erfüllt.
Der Montag, unser dritter Tourtag, begann in Soltau mit Regenhosen und -capes, die wir aber schon bald an einem Findlingsfeld bei Falshorn wieder einpacken konnten. Beim Radeln durch Wälder mit Waldbeerbewuchs auf dem Boden hatten wir endlich das Gefühl, das Gebiet der kultivierten Flächen verlassen zu haben. Die großen und kleinen Findlinge in der Naturlandschaft waren schon sehr eindrucksvoll und erinnerten mich sogar an viel berühmtere Anordnungen von Steinen in verschiedenen Gegenden Europas. 2015-05-25-FalshornFindlingspark1Spätestens am Schäferhof vor Neuenkirchen, auch Schnuckendorf genannt, waren wir in der Heide angelangt. Die Betreiber des Hofes haben ein kleines Ensemble mit heidetypischen gestalteten Gebäuden, Ställen und Speicher angelegt und sich Natur- und Landschaftsschutz zum Ziel gesetzt. Die Heidschnucken waren zwar noch hinter ihren Gattern, aber zumindest in Menge vorhanden und die Wörterkombinationen mit den schnuckeligen Tierchen begleiteten ab sofort unsere Etappen, die zwar schnuckelig, aber im unbefestigten Sandboden bis Wilsede teilweise sehr anstrengend waren, sodass wir unterwegs an schnuckeligen kleinen Holzhäuschen mit Bänken bei der einen oder anderen Rast unsere essbaren Schätze aus den Fahrradtaschen holten, die auch langsam leichter wurden.2015-05-25-Schaeferhof2 Wir kämpften uns durch Heide und Sand in faszinierender Landschaft der Lüneburger Heide bis nach Wilsede, wo wir dann im Heidemuseum über die Vergangenheit des Lebens auf dem Bauernhof in dieser Gegend und dem bösen Wolf, der Heidschnucken und sogar kürzlich ein Fohlen getötet haben soll, informiert wurden. Für die restliche Etappe an diesem Tag gab es noch einen heißen Tipp von der Museumsfrau auf den Weg. Den Pastor-Bode-Weg sollten wir fahren, vorbei an der Sudermühle, links steil hoch und uns dann nach Egestorf rollen zu lassen. Ein Rundgang in diesem niedlichen Dörfchen war nicht mehr angesagt. Die gut 50 asphaltarmen Kilometer, von uns kurz Rüttelstrecke genannt, waren anstrengend genug, sodass wir die Zeit bis zum Treffen am fein gedeckten Esstisch im Hotel „Acht Linden“ im Bett liegend verbrachten, wo wir uns dann sowohl vegan als auch heidschnuckelig stärken konnten.
2015-05-26-Lueneburg8Der nächste Tag war gleichzeitig unser Abreisetag. Von Egestorf hatten wir noch etwa 30 Kilometer bis Lüneburg, die wir gegen Mittag über Feldwege, Landstraßen und Heidschnuckenweg durch den Wald hinter uns gebracht hatten. Weil es kalt war, regnete und jeder seine eigenen Vorstellungen hatte, verstreuten wir uns bis zur Abfahrt des IC nach Hannover in diesem wirklich schönen Städtchen mit eindrucksvollen Gebäuden, Ecken und Gewässeridyllen und trafen uns nachmittags am Bahnhof zur Abfahrt des IC nach Hannover, wo wir dann in einen weiteren IC, jeweils mit Fahrradreservierung, nach Hamm umstiegen.

Noch eine kleine Ergänzung zum Speisenangebot auf unserer Tour: Vegan in der Heide

Leine-Heide-Radtour von Hannover über Schwarmstedt, Soltau, Egestorf nach Lüneburg vom 23. bis 26. Mai 2015

Mein E-Bike

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„Keiner weiß mehr“

BrinkmannUmschlagDer erste Roman Rolf Dieter Brinkmanns (…) durchstößt mit einer in Deutschland bisher unbekannten Radikalität die Stilisierungen und Ästhetisierungen des Romans, er macht Literatur wieder zu dem, was man ihr seit langem nicht mehr zutraut: zur unmittelbaren Mitteilung einer Erfahrung.“, heißt es im ersten Satz im Innenteil des so genannten Schutzumschlages der dritten Auflage, 8.-10. Tausend 1968, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Mich begleitet dieses Buch seit meiner Kölner Zeit Ende der Sechziger, als ich Rolf Dieter Brinkmann persönlich erleben konnte. Da war einerseits der rebellische Teilnehmer im Deutschseminar der Pädagogischen Hochschule in Köln-Lindenthal, andererseits der Schriftsteller, der sich in den Räumen von Kiepenheuer & Witsch zusammen mit Verlagsvertretern uns Kommilitonen als deren Autor präsentierte. Dabei will ich durchaus den Widerspruch erwähnen, den ich erlebte zwischen dem streitbaren „Kotzbrocken“ im Seminar, der als notorischer Zuspätkommer sofort den Austausch zum jeweiligen Thema rücksichtslos, wenngleich mit bewundernswerter Fachkompetenz, dominierte und dem verbindlich freundlich agierenden Autor seines Verlages.

BrinkmannKalenderNun begleitet mich eine Woche lang sein Bild im „Arche Literatur Kalender 2015“, wo zum Gedenken an seinen Unfalltod vor vierzig Jahren, am 23. April 1975, in London ein Kalenderblatt an Rolf Dieter Brinkmann erinnert. Zu dem Anlass hab ich mir „Keiner weiß mehr“ noch einmal vorgenommmen, nachdem ich es in all den Jahren nicht fertig gebracht hatte, das Werk zu Ende zu lesen. Zu drastisch fand ich die schonungslose Darstellung der Sexualität des männlichen Protagonisten, genannt „er“. Dachte ich doch bei Lesen immer an sie, genannt „seine Frau“, die sein schräges Frauenbild zu ertragen hat, für „das Kind“, das beide nicht gewollt, jedoch auch nicht verhindert haben, allein verantwortlich ist und mit Schreibarbeiten durchaus Geld in die Kasse der Kleinfamilie bringen darf.

Inzwischen gelingt es mir, Brinkmanns Roman distanziert von Vorbehalten zu lesen und da erlebe ich hinter den sexuellen Praktiken und Phantasien, der Vision einer Abtreibung mit der gebogenen Stricknadel und dem herbeigedachten Unfalltod der Partnerin einen einsam Suchenden, suchend nach einem Ausweg aus dem Leben in erdrückender Enge mit Frau und Kind in einer kleinen Wohnung, das er erlebt als

… ein einziges widersprüchliches Geflecht aus vielen Knoten, Antworten, Gegenantworten, Rechtfertigungen und Vorstellungen, Erlebnissen, Wunschbildern und Absichten, die versteckt gehalten wurden.“ (S. 128)

Wie bezeichnend, dass er sich selbst auf seiner kleinen Reise nach Hannover nicht frei fühlt, sondern noch stärker mit seinen Problemen konfrontiert und wie er im Zug zwei Männer belauscht, die sich über Alltägliches miteinander unterhalten. Als sie einen Bahnhof verlassen, schaut er ihnen nach. Warum sind diese zwei Männer mit sich und der Welt zufrieden und er nicht?

Und wie berührend, wenn er spät Abends nach Hause kommt und entdeckt, dass sie geweint hat:

„Fühlen mußte er das wahrscheinlich nun, dieses lautlose Sichausdehnen von einem unsichtbaren Raum in ihr, das weiche Flackern einer Empfindung, zartblaß und rosafarben, weich wie die weichen, sich gleichmäßig ausdehnenden unsichtbaren Wände von etwas außerordentlich Kompliziertem …“ S. 299)

Mit detailreichen Einblicken in die tiefsten Zipfel von Erleben und Gefühlen, bildreichen Szenebeschreibungen an den Schauplätzen Köln, London und Hannover sowie zeittypischen Leitmotiven wie gelbe Lackstiefel, Miniröcke, breite Gürtel und Musik der Stones ist dieser Roman, konsequent aus der Perspektive des Protagonisten als stream of consciousness (innerer Monolog) geschrieben, eine literarische Kostbarkeit.

R.I.P. Rolf Dieter Brinkmann * 16. April 1940 + 23. April 1975

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann (2023)

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Polke im Museum Ludwig

2015-04-19-PolkeBauzaun

Noch immer ist der Bereich rund um das Museum Ludwig in Köln eine Baustelle und wenn ich vor einem halben Jahr „Bauzaun goes Pop“ geschrieben habe, heißt es jetzt „Bauzaun goes Polke“. Wohin man schaut, begegnet man zwei leichtfarbig hingetupften Mädchenfiguren als Bauzaun Reproduktion von Sigmar Polkes Bild „Freundinnen“ aus dem Jahre 1966/67. Das Original ist eins der herausragenden Exponate der Ausstellung „Alibis: Sigmar Polke.Retropektive“, die zurzeit im Museum Ludwig zu sehen ist.

PolkeLudwigHinter einem neonpinkenen Tor beginnt die Zeitreise durch mehrere Jahrzehnte eines Künstlerlebens mit unglaublicher Vielfalt von Materialien, Farben, Techniken, Medien, Motiven und Themen. Da werden im Wirtschaftswunderland der 60er kitschig bebilderte Tapeten, gemusterte Flanellbettwäsche, Vorhangstoffe und Teppiche übermalt, gerne auch mit sogenannten Sehnsuchtsmotiven wie Flamingos und Palmen und da entstehen Rasterbilder, die an Pop-Art Werke von Warhol und Lichtenstein erinnern. Die Projekte der 70er sind geprägt vom Experimentieren, auch unter Einwirkung der politischen Auseinandersetzungen, bewusstseinsverändernden Substanzen und der ständigen Suche nach neuen Materialien und Techniken. So interessierte den Künstler nach einer Australienreise zum Beispiel die Kunst der Aborigines. Er entdeckte die Veränderungen von Kompositionen und Farben bei Verwendung von chemischen Zusätzen und beim Entwickeln von Fotos, was in den 80ern und 90ern zu interessanten Ergebnissen und dem entsprechenden Attribut „Alchimist“ führte.

Nein, in eine Schublade wollte Sigmar Polke nicht, passte und passt er auch nicht. Nach dem Gang durch diese monumentale Ausstellung bleibt bei mir die faszinierende Wirkung einiger, zum Teil riesiger Werke und der Titel eines Bildes, das bereits mit diesem Text beschrieben ist: „Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen!“

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„Die Natur ist klüger…“

BednarzBalladeBaikalsee „Die Natur ist klüger als wir Menschen“. Dieser Satz begleitet mich seit der Lesung von Klaus Bednarz aus seinem Buch „Ballade vom Baikalsee“ am 2. November 2000 im Forum des Gustav-Lübcke-Museums in Hamm. Und nicht nur dieser Satz blieb und bleibt mir im Gedächtnis, sondern auch das einzigartige Gewässer, mit ihm im Einklang lebende Menschen und ein großartiger Autor.

R.I.P. Klaus Bednarz * 6. Juni 1942 + 14. April 2015

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18. März 2015 in Berlin

IMG_20150318_142114Der 18. März ist mein eigentlicher Nationalfeiertag. Dabei denke ich an den 18. März 1848. Was an diesem Tag und in der darauf folgenden Nacht in Berlin geschah, ist für mich die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland. In jener Nacht vor 167 Jahren hat die Bevölkerung in beispielloser Einigkeit trotz bitterer Verluste „Herrschaft aus dem Volk“ demonstriert. Alle kämpften gegen die militärische Willkürherrschaft des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., Männer, Frauen, Kinder, Greise, Arbeiter, Literaten, Apotheker, die ganze Nacht hindurch, so lange, bis kein Soldat mehr in der Stadt zu sehen war. „Preußen geht fortan in Deutschland auf“, beteuerte der Besiegte in den Tagen darauf, ritt mit schwarzrotgoldenem Banner durch die Straßen, redete vor Studenten der Berliner Universität und verneigte sich barhäuptig vor den gefallenen Revolutionären. Ein paar Wochen später hatte er alles vergessen. Sicherlich wäre die deutsche Geschichte friedlicher verlaufen und um unzählige Tragödien ärmer, wenn die Könige, Fürsten und Herzöge der 36 deutschen Länder ihr Volk ernst genommen hätten.

IMG_20150318_152008 Die Bürgerintiative Aktion 18. März bemüht sich seit Jahrzehnten, diesem wichtigen Tag der deutschen Geschichte den angemessenen Stellenwert zu verschaffen. Die vielen Unterstützer um den Vorsitzenden Volker Schröder haben bereits erreicht, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor „Platz des 18. März“ heißt und wünschen sich, dass dieser Tag als nationaler Gedenktag einen Weg in das Bewusstsein der Menschen findet. IMG_20150318_131946Als ich gestern bei strahlendem Frühlingswetter vor dem Rednerpult mit der Aufschrift „Für demokratische Tradition und revolutionären Geist“ und den vielen Kränzen für die Märzgefallenen stand, den Rednern der verschiedenen Fraktionen zuhörte, das „Bürgerlied“ und „Die Gedanken sind frei“ mitschmetterte, fühlte ich unweigerlich das gemeinsame Bemühen um Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt, überall dort, wo täglich Menschen unterdrückt und demokratische Bemühungen mit Füßen getreten werden.

Hier spricht einer, der im März 1848 dabei war: Revolution in Berlin

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Frielings „ABC der Verlagssprache“

ABCVerlagsspracheFrielingSeit gestern tummelt sich das „ABC der Verlagssprache: 3.500 Begriffe aus dem Buch- und Verlagswesen (Frielings Bücher für Autoren 7)“ auf meinem Reader. Wirkte der Titel auf mich zunächst wie der einer trockenen Auflistung von Verlagsbegriffen, entdeckte ich doch gleich beim Stöbern, dass das Spektrum dessen, womit ein Verleger einschließlich Selbstverleger zu tun hat, weit größer ist. Klar gehören dazu auch Begriffe wie Demonstrativpronomen und Plusquamperfekt, denn wer verlegt, hat doch zunächst einmal mit allen Facetten von Sprache, Literatur, Textauswahl, Drucken und Publizieren zu tun. Da können schon mal 3500 Begriffe zusammenkommen. Und der Mann, der sie gesammelt und aufgeschrieben hat, weiß wovon er schreibt. Wilhelm Ruprecht Frieling ist Buchmacher der alten Schule und Selfpublisher der ersten Stunde. Außerdem ist es durchaus interessant zu erfahren, was aristotelische Einheiten sind und amüsant zu lesen, was Chick-Lit mit Hühnchen und der Geistereffekt mit Drucken zu tun hat. Abkürzungen wie HTML, RSS und KDP werden aufgeklärt und Happy-End ist ein Scheinanglizismus. Ich weiß jetzt, was in der Literatur ein roter Hering ist, in der Druckerei ein Schusterjunge, erfahre eine neue Bedeutung von Holländer und mit welchem Regenbogen sich die Regenbogenpresse beschäftigt.
Ja, es macht durchaus Spaß, in den humorvoll mit Frieling’scher Sprachkompetenz gestalteten kleinen Textchen zu stöbern und ich weiß, wo ich nachschauen kann, wenn mir mal wieder ein Begriff wie vom anderen Stern vorkommt.

ABC der Verlagssprache

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Traumpfade vielleicht

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAuf der Fahrt im ICE lese ich Orhan Pamuks Rede zur Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2008, die sechzigste, meine vierte. Bevor ich mir seine Ausführungen über den wohl immer noch andauernden ‚Hang des türkischen Staates, Bücher zu verbieten und Schriftsteller zu bestrafen‘ näher ansehe, bleibe ich an seinen Erinnerungen an die Buchmesse des Jahres 1990 hängen: ‚…Ehrfürchtig staunend ging ich von Halle zu Halle, von Stand zu Stand, genoss die Mannigfaltigkeit der internationalen Verlagswelt und erwog zugleich, wie schwierig es sein würde, in diesem Universum meine Stimme zu Gehör zu bringen…´ Es war Pamuks erster Besuch auf der Frankfurter Buchmesse und offenbar ist ihm das, was er seinerzeit für schwierig hielt, glänzend gelungen, Nobelpreis, Friedenspreis und als Repräsentant des Gastlandes zur diesjährigen Buchmesse Autor eines neuen Buches.

Im Shuttlebus nach dem Einchecken am Eingang City muss ich wieder an Pamuks Rede denken. Wie finde ich in diesem Universum von Hallen, Ständen, Foren und Büchern meine Programmpunkte, ohne in Feuchtgebieten zu versinken oder mich auf Bohlenwegen zu verlaufen? Bin ich ein Träumer, wenn für mich das Prinzip ‚Berechtigung hat alles, was Quote bringt‘, nicht gilt? Dann wäre allerdings Denis Scheck auch ein Träumer, wenn er von einem dieser Quotenrenner meint, von 428 Seiten seien 427 zuviel. Da sitze ich nämlich nach dem ersten Schnuppergang durch Hallen, Gänge und über die Agora beim Cappuccino am Rande der ARD Fernsehbühne und erfahre, was ‚druckfrisch‘ und lesens- oder nicht lesenswert ist. Ich frage mich nur, welche Seite er mit der einen Seite meint, die nicht zuviel ist und stelle fest, dass hin und wieder eine Sitzgelegenheit möglichst mit Cappuccino in der Nähe fast ebenso wichtig ist wie Inhalte. Beim Weiterschnuppern jenseits der Quotenprominenz finde ich mich dann im Lesezelt, wo es leider sehr übel riecht. Es spricht für den jungen Autor Benedict Wells, dass ich seine Lesung trotzdem bis zum Schluss durchhalte. Noch hier und da reinhören, Fotos machen und schon mal darüber nachdenken, was der nächste Tag bringt.

Er beginnt am Bahnhof Kronberg, mit der S4 bis zur Messe. Aussteigen, Rolltreppe, Einchecken. Regen, das bedeutet leere Agora, volle Hallen, Gänge und Rolltreppen, knappe Sitzgelegenheiten, Schlangen beim Cappuccino. Highlight für mich: Hörprobe von den Stammheim Tonbändern, in der Ulrike Meinhof verzweifelt versucht, den Gerichtsmännern in Stammheim mitzuteilen, dass sie tief im Herzen nicht mehr hinter der Sache steht, ihr jedoch das Wort entzogen wird. Ich erlebe bei 3sat Martin Flügge, der fast ohne Zuhörer über eine glänzend recherchierte Biographie von Marta Feuchtwanger berichtet und amüsiere mich über Christine Westermann und Jörg Thadeusz beim blauen Sofa.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAm nächsten und meinem letzten Messetag hält es mich vor dem gläsernen ARD Hörfunkstudio, Gerd Koenen im Gespräch über sein Che Guevara Projekt: Traumpfade der Weltrevolution. Hier wird mit Legenden aufgeräumt. Friedenskämpfer Guevara liebte den Krieg und verehrte Stalin? Seine letzte Lektüre Nietzsche, der Übermensch? Warum ging er in den bolivianischen Dschungel, wo doch von vornherein klar sein musste, dass es ein Zug in den Tod würde? Hatte er Todessehnsucht? War er gar nicht der Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit, den so viele in ihm sahen und sehen? Trotz dieser tiefen Kratzer am Mythos bin ich seltsam berührt von Carlos Pueblas eingespieltem Kultsong ‚Hasta siempre comandante‘ mit wunderschönen Gitarrenakkorden begleitet im kühlen Wind auf der sonnigen Agora.

Es gäbe noch einiges zu berichten, zum Beispiel von Cordula Stratmann, die erklärt, warum ein Literaturpapst den ihm zugedachten Preis nicht annehmen kann, wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr im fortgeschrittenen Methusalemalter (denn wer hat schließlich den Preis schon alles in der Hand gehabt?), von der türkischen Autorin Oya Baydar, die ratlos reagiert auf die Frage, warum man muslimische Frauen am Kopftuch erkennt, muslimische Männer aber kein Erkennungszeichen haben (ein weites Feld) und von Frank Goosen, der im Forum der Frankfurter Allgemeinen über das Thema seines neuen Buches redet (Fußball). Ja, das sind kurz zusammengefasst meine persönlichen Eindrücke in dem Universum von Hallen, Foren, Ständen und Büchern. Mir bleibt die Beschäftigung mit der Frage: Was haben Ernesto Guevara und Ulrike Meinhof gemeinsam, Traumpfade vielleicht?

(C) Renate Hupfeld 10/2008

Weitere Bilder gibt es hier: Frankfurter Buchmesse 2008

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Rund um die Kathedrale

2015-03-05-DOM-ICEWenn man aus östlicher Richtung mit dem ICE aus Berlin, Bielefeld oder Hamm kommend die berühmte Stadt Köln erreicht, durchfährt man zunächst Köln-Mülheim, überquert nach dem Bahnhof Deutz über die Hohenzollernbrücke den Rhein, betrachtet links das grandiose Panorama des westlichen Rheinufers mit Groß St. Martin und den Stapelhäuschen, entdeckt eine Kathedrale mit zwei hohen markanten Türmen und gleitet ganz langsam entlang der reich verzierten Fassade dieser coolen Kirche in den Kölner Hauptbahnhof. Nach dem Verlassen des Zuges befindet man sich sofort in einem dichten Gewühle von Menschen, die alle gleichzeitig die Treppe hinunterhasten in die Bahnhofshalle, wo einem auch noch ein dichter Menschenstrom entgegenschwimmt.

Nach dem Verlassen des Bahnhofsgebäudes erreicht man eine breite Treppe, die hinaufführt auf die Domplatte, genannt nach diesem gotischen Monument, an dem man nun ja nicht achtlos vorübergehen kann, sondern sich wieder im Pulk durch das Hauptportal hineinschlängeln und wenigstens einen, zwei oder drei Blicke in das Innere werfen muss, denn auch der Innenraum ist überwältigend. 2015-03-05-DOM-Selfie3Seit Jahrzehnten komme ich immer wieder über die Brücke in diesen Bahnhof, mache meine kleinen Gänge in und um den Dom und verfolge die Veränderungen seit den Sechzigern und Siebzigern, als ich ein paar Jahre nicht weit entfernt im Eigelsteinviertel wohnte. Seinerzeit führte eine Treppe von der Straße hinauf zum Domportal. Dann gab es irgendwann die mächtige Domplatte und die wird zurzeit neu gestaltet. 2015-03-05-DOM-BaustelleIch habe mal durch ein Guckloch im Bauzaun gegenüber dem Eingang des Museums Ludwig schalinst und einen Blick auf die Baustelle geworfen und bin gespannt, was im Umfeld dieser berühmten Kathedrale nun entsteht.

4. März 2015
rund um den Kölner Dom

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Good Bye, Fritz J. Raddatz

OLYMPUS DIGITAL CAMERA Noch eine Heinebiografie? Warum nicht? Ein älterer Herr hat sie geschrieben. Halblange Haare. Langer Schal lässig über dem Sakko. Krawatte, Mikrophon und Socken in leuchtendem Orange. Fritz J. Raddatz. Er kennt sich aus im Paris des 19. Jahrhunderts. Und mit Heinrich Heine. Die unzähligen Legenden um diesen Mann! Der hieß übrigens gar nicht Heinrich, der hieß Harry. Außerdem sind die gängigen Auslegungen der Zeile ‚Denk ich an Deutschland in der Nacht’ völlig daneben. Weit verbreiteter Irrtum. Nicht an Deutschland, betont Effjott mit Nachdruck, nicht an Deutschland hat Heine gedacht, als er das schrieb. An seine Mutter hat er gedacht. Die lag sterbenskrank in diesem Land, in das der Sohn nicht einreisen durfte. Daran hat Heine gedacht. Und der Titel? „Taubenherz und Geierschnabel“? Woher kommt der? Geklaut, sagt Raddatz, von Heine.

Das war am 19. März 2006 auf der Leipziger Buchmesse. Fritz J. Raddatz auf dem blauen Sofa. Er sprach über seine soeben erschienene Heinrich Heine Biografie „Taubenherz und Geierschnabel“.

Seine zum Teil köstlichen, zum Teil spitzen und vor allem schnörkellosen Darstellungen in Tagebüchern und Interviews werde ich vermissen. Er war schon ein ganz Besonderer.

Good bye, Fritz J. Raddatz

(*3. September 1931 +26. Februar 2015)

Mein Tag des blauen Sofas

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Lommi ist Kult

Lommi08Wenn man nachmittags nach vier Uhr vom Bahnhof Deutz oder vom Fußweg auf der Hohenzollernbrücke kommend entlang des Jugendgästehauses durch den Hans-Lommerzheim-Weg geht, sieht man in der Siegesstraße ein kleines Häuschen mit verwitterter Fassade und dem uralten Schriftzug „Gaststätte“. Zu jeder Jahreszeit befindet sich dort täglich, außer dienstags, eine Traube Menschen, die darauf warten, eingelassen zu werden. Und das passiert ohne Rücksicht auf Wind und Wetter um Punkt sechzehn Uhr dreißig, keine Sekunde früher. Nach dem Öffnen wollen alle Wartenden gleichzeitig in den Gastraum, um ein Plätzchen an einem Tisch zu ergattern. Wem das nicht gelingt, der stellt sich geduldig an die Theke. Alle kommen rein und alle sind willkommen. Der Köbes geht bereits mit gefülltem Gläserkranz herum und stellt vor jeden Gast ein Kölsch, Kölschstange nennt man dieses zylinderförmige hohe Glas auch, und macht einen Strich auf den Bierdeckel. Die leeren Gläser werden ohne Worte durch frisch gefüllte ersetzt. Wenn bei den Gästen erst einmal der große Durst befriedigt ist, kommen die Sachen aus der Küche, dicke Koteletts mit Zwiebeln, Frikadellen und Bratwürste mit Röggelchen oder Pommes, dazu Ketschup, Majo, Senf. Wenn man nur Pommes und eine Gewürzgurke bestellt, ist das auch okay. Alles ist gut. Man will sich ja vor allem mit seinen Fründen treffen und quatschen, was das Zeug hält, alle gleichzeitig natürlich, der Geräuschpegel ist entsprechend. Und weil es im Gastraum so eng ist, rückt man immer mehr zusammen und kommt unwillkürlich mit den Gästen an den Nachbartischen und vor dem Tresen ins Gespräch. Reden, lachen, sich freuen, dass man dabei ist.

Lommi01Über dieser ganzen Szenerie steht Hans Lommerzheim, der Urheber dieser Kultkneipe, oder besser gesagt, er hängt in Öl gemalt an der Wand und macht das, was er wohl zu seinen Lebzeiten unzählige Male hier in diesem Raum gemacht hat: er zapft eine Reihe Kölsch. Das hat er im Jahre 2005 zuletzt gemacht und sich in den Ruhestand verabschiedet, den er aber nicht lange überlebte. Drei Jahre später wurde das Lokal von einer Brauerei gekauft, unter Beibehaltung der verwitterten Fassade und des nostalgischen Ambiente renoviert und erlebt als Kultkneipe täglich diesen Ansturm. Der unverfälschte Charme der Vergangenheit ist ein Grund, warum das Lommi noch immer so kultig ist. Ein anderer wird am besten in einer Anekdote aus dem Jahre 1999 deutlich: Während eines Gipfeltreffens in Köln wollte der amerikanische Präsident Bill Clinton im angesagten Lommerzheim in Deutz einkehren. Aus Sicherheitsgründen hätte man allerdings das Lokal für die Öffentlichkeit schließen müssen. Lommis kurzes Statement dazu: „Dann müsste ich ja alle meine Stammgäste raussetzen. Nä, dat jeiht nit!“

* Röggelchen nennt man die typisch Kölner doppeltgebackenen Brötchen
* Fründe ist das Kölsche Wort für Freunde

Fotos: (C)Renate Hupfeld am 17. Dezember 2014

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