Wanderung um Plattkofel und Langkofel

LangkofelPlattkofel01Als wir das Auto auf dem Parkplatz zu Füßen der mächtigen Langkofelgruppe am Sellajoch abstellen, wissen wir, dass es einige Stunden dauern wird, bis wir wieder hier sind. 16 Kilometer haben wir uns vorgenommen, Höhenmeter nicht berücksichtigt. Für 5 Euro können wir das Fahrzeug den ganzen Tag hier stehen lassen. Das wird reichen, um eine Wanderung um Plattkofel und Langkofel zu machen. Das heißt, diesmal nehmen wir nicht die spektakuläre Seilbahn durch die Langkofelscharte hinauf zur Demezhütte, von der aus wir zwei Jahre zuvor die Umrundung nur des Langkofel gemacht haben, sondern nehmen auch noch den Plattkofel mit. LangkofelPlattkofel02Erst einmal wandern wir über die Almwiese, die wir von der Sellarunde als große weiße Fläche nach der Fahrt durch die Felsen der steinernen Stadt kennen. Schon bald erreichen wir den markanten Berg Col Rodella, den wir links liegen lassen halten uns an unseren Plattkofel, der sich zu unserer Rechten behäbig von der Sonne bescheinen lässt. König-Friedrich-August-Höhenweg steht da auf einem Schild, benannt nach dem König Friedrich August (1865-1932) von Sachsen, der als großer Freund der Dolomiten sich oft in einem Ort auf der Seiser Alm aufgehalten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts angeregt hatte, diesen Pfad als Wanderweg einzurichten. LangkofelPlattkofel03Und er wird wohl gut angenommen, denn mit Kind, Hund und Kegel sind eine Menge Leute hier unterwegs. Begleitet von saftigen Weiden und vom wahrhaft königlichen Panorama der Seiser Alm führt er uns in sanften Bögen um einen Teil des Plattkofel herum. PlattkofelLangkofel03Im Uhrzeigersinn geht es immer am Hang entlang weiter und weiter bis zur Plattkofelhütte, an der reichlich was los ist. Pause für uns gibt es jedoch erst später. LangkofelPlattkofel04So gehen wir weiter in der Hoffnung, nun doch bald den Plattkofel hinter uns zu lassen und den großen Bruder zu erreichen, den sogenannten Langen oder Sassolungo. Wir sind nämlich schon sehr gespannt, wie sich von hier unten die hintere Seite der Langkofelscharte darstellt d.h. der Teil, den wir seinerzeit von der Demezhütte aus steil hinabsteigen mussten. PlattkofelLangkofel02Da kommt ein Einschnitt, doch als wir ihn erreichen, stellen wir fest, dass es eine Scharte im Plattkofel ist und dass wir noch einen riesengroßen Bogen laufen müssen. LangkofelPlattkofel06Da ist erst einmal Pause angesagt, ein stilles Plätzchen suchen und die wohlverdiente Stärkung gegen den Hungerast aus dem Rucksack holen. Dabei können wir uns schon mal den von hier klitzeklein aussehenden stetig ansteigenden Weg ansehen, den wir noch vor uns haben. Es wird steinig, geröllig, felsig, steil und abgründig, bevor wir einen Weg unterhalb der Langkofelhütte erreichen. Aufsteigen zur Hütte wollen wir nicht, sondern müssen weiter, haben ja schließlich noch einen guten Teil vor uns, das heißt stetiger Anstieg, um die Nordwand des Langkofel zu erreichen, zu umrunden und im endlosen Auf und Ab zwischen Felsen, Geröll und an Abgründen fast gar nicht bemerken, dass inzwischen das Sellamassiv wieder zu sehen ist. OLYMPUS DIGITAL CAMERAZwar liegt unten im Tal die Passstraße wie zum Greifen nahe, doch das Ziel ist noch immer fern. Bei gleichbleibendem Status der Strecke mit mehr oder weniger felsigen Passagen und Abgründen zur Linken erreichen wir nach Hinuntertasten, sehr vorsichtig, vor allem nachdem wir schon einer Frau, die an einer steilen Schotterstrecke auf den Hintern gerutscht ist und sich an einem spitzen Stein an der Hand verletzt hat, mit Pflaster ausgeholfen haben, und endlosem Gesteige neben und unter Felsbrocken stehen wir schließlich vor der Comicihütte. Dort wird aber schon ab- und aufgeräumt, macht nix, wir wollen ohnehin weiter und die Mammuttour zu Ende bringen. Auf den sanften Schotterstrecken trotten wir dem Sellajopch entgegen und müssen nur aufpassen, dass wir nicht auf dem fiesen Geröll ausrutschen. Der Durchgang durch die steinerne Stadt erfordert dann doch noch einmal volle Konzentration, zumal auch das Wetter inzwischen nicht mehr mitspielt. Es donnert und beginnt ein wenig zu regnen, was uns nun zu besonderer Eile antreibt, bis wir schließlich diese Felsenstadt direkt am Parkplatz verlassen, wohlbehalten im Auto sitzen und erst mal tief durchatmen, bevor wir uns auf den Weg zurück zu unserer Herberge in Colfosco machen.

Hier ist der Track zu unserer Tour:
Umrundung des Plattkofel und Langkofel

Und hier ein kleiner Bericht zu unserer Langkofelumrundung im Juli 2013:
Wanderung rund um den Langkofel

E-Book bei Amazon: Sechs Wanderungen in den Dolomiten

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Vom Pordoijoch zum Piz Boe

2015-07-20-SassPordoiWenn man auf Wanderurlaub rund um das Sellamassiv ist, sieht man die Spitze des Piz Boe fast auf jeder Tour, sei es vom Edelweißtal, von den Almen um Col Alto oder von der Skiwiese unterhalb des Boeliftes von Corvara. Wie oft habe ich ihn aus der Ferne betrachtet und fotografiert, mir vorgestellt, dass ich mal dort oben bin und herabschaue auf die gigantischen Riesen, die ihn umgeben. Der Piz Boe ist mit 3152 Metern die höchste Erhebung im gewaltigen Sellamassiv, das man im Winter auf Skiern durch vier Täler und über vier Pässe umrunden kann.

2015-07-20-SassPordoiBoeBlickDieses Jahr ist es endlich so weit. An einem dieser vier Pässe beginnt unsere Tour auf diesen Dreitausender hoch oben auf dem Sella. Von Colfosco aus fahren wir hinunter nach Corvara, über den Campolongopass nach Arrabba und von dort aus in etlichen Kehren auf den Pordoipass, wo wir ganz entspannt aussteigen, parken und uns umsehen können. Das heißt, schon mal hinaufschauen auf den steilen schroffen Felsen, an dem einsam eine Kabinenbahn hinauf- und hinunterschwebt. Diese Bahn nehmen wir und werden in ein paar Minuten unglaublich steil von 2239 m auf 2950 m hinaufgebracht auf den Sass Pordoi.

2015-07-20-SellaSassPordoiNach dem Ausstieg befinden wir uns hoch oben auf dem gewaltigen Sellamassiv, das sich hier oberhalb der Vegetation in einer riesigen Ebene aus hellem Schotter ausdehnt, umgeben von einem weitläufigen Panorama faszinierender Dolomitengipfel und überragt von der kegelförmigen Erhebung, die zwar nicht zum Greifen nahe, jedoch durchaus erreichbar erscheint. Und kühl ist es hier oben, ich packe zum ersten Mal seit fünf Tagen mein Jäckchen aus. Ja, und irgendwie aufregend, das Ganze! Ich hab eigentlich nur eins im Blick: Die Spitze mit dem kleinen Haus in zwar nicht sehr weiter, aber doch in einiger Entfernung. Und ein bisschen Höhe und Steilheit wird abgesehen von den Schotterwegen zu bewältigen sein.

2015-07-20-PordoischarteAlso los in Richtung unseres Dreitausenders. Der Weg geht zunächst einmal abwärts, zunächst flach, dann ein bisschen steil hinunter bis zur Pordoihütte, wo wir mal einen Blick in die Pordoischarte hinunter zum Pass werfen. Schotterig geht der Weg weiter entlang eines Felsens und durch ein kleines matschiges Schneefeld bis zu einer Fläche, die einer Mondlandschaft gleicht, und kommen unserem Berg langsam näher, schon ahnend, dass es so flach nicht bleibt.

2015-07-20-BoeDas Haus auf dem Gipfel ist schon deutlich zu erkennen. Allmählich wird es steil und an einigen Stellen eng zwischen den Felsen. Und es wird noch steiler. Mit Hilfe eines Drahtseils und einigen metallenen Tritthilfen können wir uns hoch hangeln und weiter gehts zur nächsten Steilkehre, zur nächsten felsigen Enge und weiterem Drahtseil. Ganz nah ist das Haus jetzt und ganz schnell geht es die letzten Meter bis ganz nach oben.

2015-07-20-BoeSpitzeLetzteMeter Und da ist schon richtig was los. Die Terrasse der Fassahütte ist gut besetzt und die Felsbrocken auf dem Platz davor belagert von Gipfelstürmern. Das tut unserer Freude keinen Abbruch. Wir finden ein Plätzchen und ich versuche erst einmal, mich abzuregen. Das geht am besten mit Trinkflasche, Banane und Brot aus dem Rucksack. Das Jäckchen hatte ich beim schweißtreibenden Aufstieg übrigens längst wieder eingepackt. Bei all der Aufregung fällt mir erst jetzt auf, dass die Sicht gar nicht so prickelnd ist, das macht aber nix. 2015-07-20-WCBoeSpitzeIch erahne Marmolada und Porta Vescovo und sehe einige Meter entfernt ein Schild mit der Aufschrift WC. Da will ich doch mal hin, komme allerdings nur bis zu besagtem Schild, denn zum WC geht es abgrundtief. Das muss ich jetzt nicht haben und ich muss übrigens auch gar nicht mehr. Wohin ich auch schaue, sehe ich Abgründe. 2015-07-20-AufDemBoeBeim Zurückgehen zu meinem felsigen Plätzchen mache ich mal ein Foto von der munteren Gipfelgesellschaft hier oben auf dem winzigen Plateau in 3152 m Höhe. Ja, und in dem Moment befällt mich die Frage: „Wie komme ich hier eigentlich wieder runter?“ Beim Gang Richtung WC hab ich eine Menge Hinweisschilder gesehen, die ich aber alle nicht einordnen kann. Meine beiden Begleiter halten sich bedeckt. Sie sind auch etwas ratlos, lassen das aber nicht so raushängen. Schließlich entscheiden wir uns, für den Abstieg denselben Weg wie beim Aufstieg zu nehmen.

2015-07-20-WalterRenateBoeSpitzeÜber die Bedenken, es könnte an einigen Stellen bei Begegnungen mit Aufsteigern eng werden, setzen wir uns hinweg zugunsten der bekannten Route. Doch zunächst gibt es noch ein paar schöne Gipfelfotos, das hat man sich bei der Besteigung eines Dreitausenders mehr als verdient. Dabei entdecken wir auch ein kleines metallenes Gipfelkreuz mit einem altarähnlichen Tisch davor und ganz viele Leute, die fotografieren und sich mit oder ohne Siegerpose, fotografieren lassen.

2015-07-20-BoeAbgrundUnd mir fällt gerade auf, wie kühn die Terrasse der Fassahütte über dem Abgrund schwebt, schnell noch ein Foto. Dann wagen wir uns langsam an den Abstieg und sind überrascht, dass es mit entgegenkommenden Aufsteigern gar kein Problem gibt. Von oben her sieht man, dass es meistens mehrere Möglichkeiten gibt. Nur an einer Kletterseilstelle gibt es einen winzigen Stau, den ich gleich mal für ein Foto nutze.

2015-07-20-BoeSpitzeKletterseile Überhaupt kann ich sagen, dass der Abstieg weit weniger schweißtreibend ist als der Aufstieg und schon bald gehen wir wieder auf der Schotterpiste und fühlen uns wie auf dem Mond, nur dass wir wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen, nämlich zunächst zur Pordoihütte an der Scharte, wo wir dann auch einkehren und entspannt bei Tee, Saft und Apfelschorle die schöne Tour feiern, die zugegeben an körperlicher Anstrengung nicht allzuviel abverlangt hat und deren Erlebniswert dennoch unvergleichlich schön war.

2015-07-20-PordoiHuetteNach der Pause heißt es wieder zunächst steil, dann flacher aufsteigen zum Sass Pordoi, wo die Kabine schon zum Einsteigen einlädt. Da sie noch eine ganze Weile auf weitere Passagiere wartet, kann ich jetzt endlich ausgiebig die Serpentinen der Passstraße betrachten, nach allen Seiten Ausschau halten und bekannte Orte wie Canazei im Fassatal, die Marmolada und Arrabba entdecken, dann gemütlich runterschweben zum Parkplatz auf dem Pass Pordoi.

Hier gibt es weitere Berichte und Informationen rund um das Sellamassiv:
Sechs Wanderungen in den Dolomiten
Renates Dolomitenblog

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Mein E-Bike

GartenNach 13 Jahren war es so weit, ich brauchte ein neues Fahrrad. Da ich außer Einkaufs- und Kurztouren im Umfeld ein bis zwei mehrtägige Radtouren mit Gepäck pro Jahr mache und mit zunehmenden Jahren doch schon mal das Limit der Muskelkraft zu spüren bekam, entschied ich mich nach sehr langer Überlegung für ein E-Bike. Da gibt es ja verschiedene Ausführungen und Bauweisen, das heißt verschiedene Arten, wie die Unterstützungstechnik im Fahrrad eingebaut ist, das heißt der Akku im Rahmen, auf dem Gepäckträger oder im Kettenkasten.
AkkuBei Zweirad Köster in der Hammer Ostenallee wurde ich schließlich fündig.
Und das ist nun mein Neues: Ein schwarzes E-Bike vom holländischen Hersteller Batavus, Fuego E-go 7 mit zwei Akkus, einen in Reserve und einen im Kettenkasten, was mir sehr gut gefiel, muss ja nicht gleich jeder sehen, dass es ein E-Bike ist. Aufladen kann ich ihn entweder über einen Zugang am Steuerdisplay oder mit einem Verbindungselement versehen in der Steckdose, natürlich nur über das zugehörige Netzgerät.
LenkerDer Motor ist ziemlich unauffällig im Vorderrad eingebaut, das finde ich auch sehr elegant. Die Unterstützung ist eingeteilt in 4 Modi, dem Eco-Modus und drei Steigerungen, die ich (für mich) leichte, mittlere und volle Power nenne. Gesteuert wird mit einem Steuerelement links am Lenker, ähnlich wie die Naben-Gangschaltung für sieben Gänge, die sich rechts am Lenker befindet, ziemlich einfach zu bedienen.
SteuerEinheitAuf dem Display kann ich nachlesen, dass ich mit dem Fahrrad bisher 296,4 km zurückgelegt habe, das heißt seit der letzten Akkuladung 55 km. Und ich erkenne an der Darstellung des Akkustandes, dass ich mich noch im oberen Bereich befinde, das heißt, ich kann noch etliche Kilometer fahren. Wie viel genau, werde ich noch austesten.
LüneburgInzwischen hab ich mit meinem E-Bike eine mehrtägige Radtour mit Gepäck durch die Lüneburger Heide gemacht und war natürlich ein bisschen aufgeregt und sehr gespannt, wie ich mit dieser Technik klar komme, zumal ich mich entgegen dem wohlgemeinten Rat von Herrn Köster gegen die Mitnahme des zweiten Akkus entschieden hatte. Wer mal mit eigenem Gepäcktransport auf mehrtägiger Fahrradtour war, weiß, wovon ich rede, es geht um jedes klitzekleine Kilogramm, das man einspart.
2015-05-25-Wilsede1Nun, bei unseren Etappen von bis zu 55 km lief es mit einem Akku wirklich super. Das Display zeigte am jeweiligen Zielort immer das oben abgebildete Level, nämlich wenig Verbrauch. Ich hab den Akku trotzdem jeden Tag ausgebaut und im Hotelzimmer aufgeladen, das dauerte ungefähr eine Stunde. Nun muss ich sagen, dass es sich in der Heide mit Steigungen in Grenzen hielt, was bedeutete, dass ich meistens im Eco-Modus fuhr. Allerdings war ich auf den langen sandigen Strecken um Wilsede für die Unterstützung sehr dankbar und hab mir auch mal volle Power gegönnt. Übrigens wäre es kein Beinbruch gewesen, wenn mir die Power ausgegangen wäre, es fährt sich auch ohne Unterstützung leicht wie ein normales Rad.
KanalWas dieses neue Fahrrad für meine täglichen Besorgungen und Einkäufe bedeutet, sehe ich daran, dass in den vergangenen Wochen das Auto die Garage so selten wie nie verlassen hat, weil ich auch zu entfernter gelegenen Stätten und bei starkem Wind das Fahrrad nehme und sogar den einen oder anderen Schlenker in die Hammer Umgebung einbaue, sei es der Kurpark, den Bachlauf der Geinegge, die Lippeauen oder die schönen Wege am Kanal. Ach ja, noch ein Sätzchen:
Ohne fleißiges Strampeln geht gar nichts.

Radtour in die Lüneburger Heide
Bilder aus Hamm
Geschichten aus Hamm

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Leine-Heide Radtour

2015-05-23-Hannover3Unsere Tour entlang der Leine und durch die Lüneburger Heide begann am Pfingstsamstag mit dem IC und Reservierungen für acht Fahrräder von Hamm nach Hannover. Nach einem Gängelchen durch die Altstadt, Markt mit Kirche und altem Rathaus, die Leinstraße vor dem Leineschloss und über den Platz der Göttinger Sieben überquerten wir die Leine und fuhren entlang der Leinewiesen mit den bunten Nanas von Nikki de St. Phalle und samstäglichem Flohmarkt, der Herrenhäuser Allee, streiften die Herrenhäuser Gärten und die Orangerie und verließen die Stadt in nördliche Richtung.
2015-05-23-SchwarmstedtZwischen Schrebergärten und auf Fahrradwegen entlang einigermaßen befahrener Straßen in Stöcken erreichten wir das Dörfchen Engelbostel, streiften das Rollfeld des Flughafens Langenhagen, fuhren gemächlich durch Felder, Wiesen und Wäldchen und erreichten nach 40 Kilometern unser erstes Etappenziel, das schöne Städtchen Schwarmstedt, wo wir im Hotel eincheckten und uns in einer Bäckerei Café Kaffee und Kuchen genehmigten. Nach einem kleinen Rundgang konnten wir uns dann im sonnigen Biergarten neben der Kirche mit Blick auf ein aktuell bebrütetes Storchennest auf das Abendessen im Hotel Bertram freuen, das dann auch keine Wünsche offen ließ, vor allem auch nicht die veganen.
2015-05-24-BothmerDer Pfingstsonntag bescherte uns nach einem feinen Frühstücksbuffet strahlend blauen Himmel und lockte uns zeitig auf die Räder. Stadt war gestern, heute war Natur und Ruhe angesagt. Nach ein paar Kilometern hatten wir mit der Bothmer Mühle jetzt die idyllische Facette der Leine gefolgt vom Schloss Ahlden im Aller-Leine-Tal vor der Kamera. Nach einer längeren sonntagssonnigen Pause im Eiscafé in Bad Fallingbostel ging es weiter durch Felder, Wiesen und Wäldchen, bis wir nach 53 Kilometern unser Ziel Soltau erreichten. Nach Einchecken und kurzer Beinehochlegpause im Postillon ging es vorbei an der allerliebsten Fassade des Spielmuseums in die Fußgängerzone, wo wir an den kleinen Skulpturen auf Bänken und an Säulen einschließlich Eulenspiegel mit dem Schuhhaufen oben auf einem Seil unseren Spaß hatten.2015-05-24-Soltau1 Den Park nahmen wir noch mit, dann strebten wir doch der Genusszentrale an der Lüneburger Straße zu, wo wir gottlob vorher einen Tisch für 10 Leute bestellt hatten, denn es war sauvoll. Kein Wunder, auch hier wurden wirklich alle Wünsche für Speisen und Getränke erfüllt.
Der Montag, unser dritter Tourtag, begann in Soltau mit Regenhosen und -capes, die wir aber schon bald an einem Findlingsfeld bei Falshorn wieder einpacken konnten. Beim Radeln durch Wälder mit Waldbeerbewuchs auf dem Boden hatten wir endlich das Gefühl, das Gebiet der kultivierten Flächen verlassen zu haben. Die großen und kleinen Findlinge in der Naturlandschaft waren schon sehr eindrucksvoll und erinnerten mich sogar an viel berühmtere Anordnungen von Steinen in verschiedenen Gegenden Europas. 2015-05-25-FalshornFindlingspark1Spätestens am Schäferhof vor Neuenkirchen, auch Schnuckendorf genannt, waren wir in der Heide angelangt. Die Betreiber des Hofes haben ein kleines Ensemble mit heidetypischen gestalteten Gebäuden, Ställen und Speicher angelegt und sich Natur- und Landschaftsschutz zum Ziel gesetzt. Die Heidschnucken waren zwar noch hinter ihren Gattern, aber zumindest in Menge vorhanden und die Wörterkombinationen mit den schnuckeligen Tierchen begleiteten ab sofort unsere Etappen, die zwar schnuckelig, aber im unbefestigten Sandboden bis Wilsede teilweise sehr anstrengend waren, sodass wir unterwegs an schnuckeligen kleinen Holzhäuschen mit Bänken bei der einen oder anderen Rast unsere essbaren Schätze aus den Fahrradtaschen holten, die auch langsam leichter wurden.2015-05-25-Schaeferhof2 Wir kämpften uns durch Heide und Sand in faszinierender Landschaft der Lüneburger Heide bis nach Wilsede, wo wir dann im Heidemuseum über die Vergangenheit des Lebens auf dem Bauernhof in dieser Gegend und dem bösen Wolf, der Heidschnucken und sogar kürzlich ein Fohlen getötet haben soll, informiert wurden. Für die restliche Etappe an diesem Tag gab es noch einen heißen Tipp von der Museumsfrau auf den Weg. Den Pastor-Bode-Weg sollten wir fahren, vorbei an der Sudermühle, links steil hoch und uns dann nach Egestorf rollen zu lassen. Ein Rundgang in diesem niedlichen Dörfchen war nicht mehr angesagt. Die gut 50 asphaltarmen Kilometer, von uns kurz Rüttelstrecke genannt, waren anstrengend genug, sodass wir die Zeit bis zum Treffen am fein gedeckten Esstisch im Hotel „Acht Linden“ im Bett liegend verbrachten, wo wir uns dann sowohl vegan als auch heidschnuckelig stärken konnten.
2015-05-26-Lueneburg8Der nächste Tag war gleichzeitig unser Abreisetag. Von Egestorf hatten wir noch etwa 30 Kilometer bis Lüneburg, die wir gegen Mittag über Feldwege, Landstraßen und Heidschnuckenweg durch den Wald hinter uns gebracht hatten. Weil es kalt war, regnete und jeder seine eigenen Vorstellungen hatte, verstreuten wir uns bis zur Abfahrt des IC nach Hannover in diesem wirklich schönen Städtchen mit eindrucksvollen Gebäuden, Ecken und Gewässeridyllen und trafen uns nachmittags am Bahnhof zur Abfahrt des IC nach Hannover, wo wir dann in einen weiteren IC, jeweils mit Fahrradreservierung, nach Hamm umstiegen.

Noch eine kleine Ergänzung zum Speisenangebot auf unserer Tour: Vegan in der Heide

Leine-Heide-Radtour von Hannover über Schwarmstedt, Soltau, Egestorf nach Lüneburg vom 23. bis 26. Mai 2015

Mein E-Bike

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„Keiner weiß mehr“

BrinkmannUmschlagDer erste Roman Rolf Dieter Brinkmanns (…) durchstößt mit einer in Deutschland bisher unbekannten Radikalität die Stilisierungen und Ästhetisierungen des Romans, er macht Literatur wieder zu dem, was man ihr seit langem nicht mehr zutraut: zur unmittelbaren Mitteilung einer Erfahrung.“, heißt es im ersten Satz im Innenteil des so genannten Schutzumschlages der dritten Auflage, 8.-10. Tausend 1968, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Mich begleitet dieses Buch seit meiner Kölner Zeit Ende der Sechziger, als ich Rolf Dieter Brinkmann persönlich erleben konnte. Da war einerseits der rebellische Teilnehmer im Deutschseminar der Pädagogischen Hochschule in Köln-Lindenthal, andererseits der Schriftsteller, der sich in den Räumen von Kiepenheuer & Witsch zusammen mit Verlagsvertretern uns Kommilitonen als deren Autor präsentierte. Dabei will ich durchaus den Widerspruch erwähnen, den ich erlebte zwischen dem streitbaren „Kotzbrocken“ im Seminar, der als notorischer Zuspätkommer sofort den Austausch zum jeweiligen Thema rücksichtslos, wenngleich mit bewundernswerter Fachkompetenz, dominierte und dem verbindlich freundlich agierenden Autor seines Verlages.

BrinkmannKalenderNun begleitet mich eine Woche lang sein Bild im „Arche Literatur Kalender 2015“, wo zum Gedenken an seinen Unfalltod vor vierzig Jahren, am 23. April 1975, in London ein Kalenderblatt an Rolf Dieter Brinkmann erinnert. Zu dem Anlass hab ich mir „Keiner weiß mehr“ noch einmal vorgenommmen, nachdem ich es in all den Jahren nicht fertig gebracht hatte, das Werk zu Ende zu lesen. Zu drastisch fand ich die schonungslose Darstellung der Sexualität des männlichen Protagonisten, genannt „er“. Dachte ich doch bei Lesen immer an sie, genannt „seine Frau“, die sein schräges Frauenbild zu ertragen hat, für „das Kind“, das beide nicht gewollt, jedoch auch nicht verhindert haben, allein verantwortlich ist und mit Schreibarbeiten durchaus Geld in die Kasse der Kleinfamilie bringen darf.

Inzwischen gelingt es mir, Brinkmanns Roman distanziert von Vorbehalten zu lesen und da erlebe ich hinter den sexuellen Praktiken und Phantasien, der Vision einer Abtreibung mit der gebogenen Stricknadel und dem herbeigedachten Unfalltod der Partnerin einen einsam Suchenden, suchend nach einem Ausweg aus dem Leben in erdrückender Enge mit Frau und Kind in einer kleinen Wohnung, das er erlebt als

… ein einziges widersprüchliches Geflecht aus vielen Knoten, Antworten, Gegenantworten, Rechtfertigungen und Vorstellungen, Erlebnissen, Wunschbildern und Absichten, die versteckt gehalten wurden.“ (S. 128)

Wie bezeichnend, dass er sich selbst auf seiner kleinen Reise nach Hannover nicht frei fühlt, sondern noch stärker mit seinen Problemen konfrontiert und wie er im Zug zwei Männer belauscht, die sich über Alltägliches miteinander unterhalten. Als sie einen Bahnhof verlassen, schaut er ihnen nach. Warum sind diese zwei Männer mit sich und der Welt zufrieden und er nicht?

Und wie berührend, wenn er spät Abends nach Hause kommt und entdeckt, dass sie geweint hat:

„Fühlen mußte er das wahrscheinlich nun, dieses lautlose Sichausdehnen von einem unsichtbaren Raum in ihr, das weiche Flackern einer Empfindung, zartblaß und rosafarben, weich wie die weichen, sich gleichmäßig ausdehnenden unsichtbaren Wände von etwas außerordentlich Kompliziertem …“ S. 299)

Mit detailreichen Einblicken in die tiefsten Zipfel von Erleben und Gefühlen, bildreichen Szenebeschreibungen an den Schauplätzen Köln, London und Hannover sowie zeittypischen Leitmotiven wie gelbe Lackstiefel, Miniröcke, breite Gürtel und Musik der Stones ist dieser Roman, konsequent aus der Perspektive des Protagonisten als stream of consciousness (innerer Monolog) geschrieben, eine literarische Kostbarkeit.

R.I.P. Rolf Dieter Brinkmann * 16. April 1940 + 23. April 1975

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann (2023)

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Polke im Museum Ludwig

2015-04-19-PolkeBauzaun

Noch immer ist der Bereich rund um das Museum Ludwig in Köln eine Baustelle und wenn ich vor einem halben Jahr „Bauzaun goes Pop“ geschrieben habe, heißt es jetzt „Bauzaun goes Polke“. Wohin man schaut, begegnet man zwei leichtfarbig hingetupften Mädchenfiguren als Bauzaun Reproduktion von Sigmar Polkes Bild „Freundinnen“ aus dem Jahre 1966/67. Das Original ist eins der herausragenden Exponate der Ausstellung „Alibis: Sigmar Polke.Retropektive“, die zurzeit im Museum Ludwig zu sehen ist.

PolkeLudwigHinter einem neonpinkenen Tor beginnt die Zeitreise durch mehrere Jahrzehnte eines Künstlerlebens mit unglaublicher Vielfalt von Materialien, Farben, Techniken, Medien, Motiven und Themen. Da werden im Wirtschaftswunderland der 60er kitschig bebilderte Tapeten, gemusterte Flanellbettwäsche, Vorhangstoffe und Teppiche übermalt, gerne auch mit sogenannten Sehnsuchtsmotiven wie Flamingos und Palmen und da entstehen Rasterbilder, die an Pop-Art Werke von Warhol und Lichtenstein erinnern. Die Projekte der 70er sind geprägt vom Experimentieren, auch unter Einwirkung der politischen Auseinandersetzungen, bewusstseinsverändernden Substanzen und der ständigen Suche nach neuen Materialien und Techniken. So interessierte den Künstler nach einer Australienreise zum Beispiel die Kunst der Aborigines. Er entdeckte die Veränderungen von Kompositionen und Farben bei Verwendung von chemischen Zusätzen und beim Entwickeln von Fotos, was in den 80ern und 90ern zu interessanten Ergebnissen und dem entsprechenden Attribut „Alchimist“ führte.

Nein, in eine Schublade wollte Sigmar Polke nicht, passte und passt er auch nicht. Nach dem Gang durch diese monumentale Ausstellung bleibt bei mir die faszinierende Wirkung einiger, zum Teil riesiger Werke und der Titel eines Bildes, das bereits mit diesem Text beschrieben ist: „Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen!“

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„Die Natur ist klüger…“

BednarzBalladeBaikalsee „Die Natur ist klüger als wir Menschen“. Dieser Satz begleitet mich seit der Lesung von Klaus Bednarz aus seinem Buch „Ballade vom Baikalsee“ am 2. November 2000 im Forum des Gustav-Lübcke-Museums in Hamm. Und nicht nur dieser Satz blieb und bleibt mir im Gedächtnis, sondern auch das einzigartige Gewässer, mit ihm im Einklang lebende Menschen und ein großartiger Autor.

R.I.P. Klaus Bednarz * 6. Juni 1942 + 14. April 2015

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18. März 2015 in Berlin

IMG_20150318_142114Der 18. März ist mein eigentlicher Nationalfeiertag. Dabei denke ich an den 18. März 1848. Was an diesem Tag und in der darauf folgenden Nacht in Berlin geschah, ist für mich die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland. In jener Nacht vor 167 Jahren hat die Bevölkerung in beispielloser Einigkeit trotz bitterer Verluste „Herrschaft aus dem Volk“ demonstriert. Alle kämpften gegen die militärische Willkürherrschaft des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., Männer, Frauen, Kinder, Greise, Arbeiter, Literaten, Apotheker, die ganze Nacht hindurch, so lange, bis kein Soldat mehr in der Stadt zu sehen war. „Preußen geht fortan in Deutschland auf“, beteuerte der Besiegte in den Tagen darauf, ritt mit schwarzrotgoldenem Banner durch die Straßen, redete vor Studenten der Berliner Universität und verneigte sich barhäuptig vor den gefallenen Revolutionären. Ein paar Wochen später hatte er alles vergessen. Sicherlich wäre die deutsche Geschichte friedlicher verlaufen und um unzählige Tragödien ärmer, wenn die Könige, Fürsten und Herzöge der 36 deutschen Länder ihr Volk ernst genommen hätten.

IMG_20150318_152008 Die Bürgerintiative Aktion 18. März bemüht sich seit Jahrzehnten, diesem wichtigen Tag der deutschen Geschichte den angemessenen Stellenwert zu verschaffen. Die vielen Unterstützer um den Vorsitzenden Volker Schröder haben bereits erreicht, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor „Platz des 18. März“ heißt und wünschen sich, dass dieser Tag als nationaler Gedenktag einen Weg in das Bewusstsein der Menschen findet. IMG_20150318_131946Als ich gestern bei strahlendem Frühlingswetter vor dem Rednerpult mit der Aufschrift „Für demokratische Tradition und revolutionären Geist“ und den vielen Kränzen für die Märzgefallenen stand, den Rednern der verschiedenen Fraktionen zuhörte, das „Bürgerlied“ und „Die Gedanken sind frei“ mitschmetterte, fühlte ich unweigerlich das gemeinsame Bemühen um Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt, überall dort, wo täglich Menschen unterdrückt und demokratische Bemühungen mit Füßen getreten werden.

Hier spricht einer, der im März 1848 dabei war: Revolution in Berlin

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Frielings „ABC der Verlagssprache“

ABCVerlagsspracheFrielingSeit gestern tummelt sich das „ABC der Verlagssprache: 3.500 Begriffe aus dem Buch- und Verlagswesen (Frielings Bücher für Autoren 7)“ auf meinem Reader. Wirkte der Titel auf mich zunächst wie der einer trockenen Auflistung von Verlagsbegriffen, entdeckte ich doch gleich beim Stöbern, dass das Spektrum dessen, womit ein Verleger einschließlich Selbstverleger zu tun hat, weit größer ist. Klar gehören dazu auch Begriffe wie Demonstrativpronomen und Plusquamperfekt, denn wer verlegt, hat doch zunächst einmal mit allen Facetten von Sprache, Literatur, Textauswahl, Drucken und Publizieren zu tun. Da können schon mal 3500 Begriffe zusammenkommen. Und der Mann, der sie gesammelt und aufgeschrieben hat, weiß wovon er schreibt. Wilhelm Ruprecht Frieling ist Buchmacher der alten Schule und Selfpublisher der ersten Stunde. Außerdem ist es durchaus interessant zu erfahren, was aristotelische Einheiten sind und amüsant zu lesen, was Chick-Lit mit Hühnchen und der Geistereffekt mit Drucken zu tun hat. Abkürzungen wie HTML, RSS und KDP werden aufgeklärt und Happy-End ist ein Scheinanglizismus. Ich weiß jetzt, was in der Literatur ein roter Hering ist, in der Druckerei ein Schusterjunge, erfahre eine neue Bedeutung von Holländer und mit welchem Regenbogen sich die Regenbogenpresse beschäftigt.
Ja, es macht durchaus Spaß, in den humorvoll mit Frieling’scher Sprachkompetenz gestalteten kleinen Textchen zu stöbern und ich weiß, wo ich nachschauen kann, wenn mir mal wieder ein Begriff wie vom anderen Stern vorkommt.

ABC der Verlagssprache

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Traumpfade vielleicht

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAuf der Fahrt im ICE lese ich Orhan Pamuks Rede zur Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2008, die sechzigste, meine vierte. Bevor ich mir seine Ausführungen über den wohl immer noch andauernden ‚Hang des türkischen Staates, Bücher zu verbieten und Schriftsteller zu bestrafen‘ näher ansehe, bleibe ich an seinen Erinnerungen an die Buchmesse des Jahres 1990 hängen: ‚…Ehrfürchtig staunend ging ich von Halle zu Halle, von Stand zu Stand, genoss die Mannigfaltigkeit der internationalen Verlagswelt und erwog zugleich, wie schwierig es sein würde, in diesem Universum meine Stimme zu Gehör zu bringen…´ Es war Pamuks erster Besuch auf der Frankfurter Buchmesse und offenbar ist ihm das, was er seinerzeit für schwierig hielt, glänzend gelungen, Nobelpreis, Friedenspreis und als Repräsentant des Gastlandes zur diesjährigen Buchmesse Autor eines neuen Buches.

Im Shuttlebus nach dem Einchecken am Eingang City muss ich wieder an Pamuks Rede denken. Wie finde ich in diesem Universum von Hallen, Ständen, Foren und Büchern meine Programmpunkte, ohne in Feuchtgebieten zu versinken oder mich auf Bohlenwegen zu verlaufen? Bin ich ein Träumer, wenn für mich das Prinzip ‚Berechtigung hat alles, was Quote bringt‘, nicht gilt? Dann wäre allerdings Denis Scheck auch ein Träumer, wenn er von einem dieser Quotenrenner meint, von 428 Seiten seien 427 zuviel. Da sitze ich nämlich nach dem ersten Schnuppergang durch Hallen, Gänge und über die Agora beim Cappuccino am Rande der ARD Fernsehbühne und erfahre, was ‚druckfrisch‘ und lesens- oder nicht lesenswert ist. Ich frage mich nur, welche Seite er mit der einen Seite meint, die nicht zuviel ist und stelle fest, dass hin und wieder eine Sitzgelegenheit möglichst mit Cappuccino in der Nähe fast ebenso wichtig ist wie Inhalte. Beim Weiterschnuppern jenseits der Quotenprominenz finde ich mich dann im Lesezelt, wo es leider sehr übel riecht. Es spricht für den jungen Autor Benedict Wells, dass ich seine Lesung trotzdem bis zum Schluss durchhalte. Noch hier und da reinhören, Fotos machen und schon mal darüber nachdenken, was der nächste Tag bringt.

Er beginnt am Bahnhof Kronberg, mit der S4 bis zur Messe. Aussteigen, Rolltreppe, Einchecken. Regen, das bedeutet leere Agora, volle Hallen, Gänge und Rolltreppen, knappe Sitzgelegenheiten, Schlangen beim Cappuccino. Highlight für mich: Hörprobe von den Stammheim Tonbändern, in der Ulrike Meinhof verzweifelt versucht, den Gerichtsmännern in Stammheim mitzuteilen, dass sie tief im Herzen nicht mehr hinter der Sache steht, ihr jedoch das Wort entzogen wird. Ich erlebe bei 3sat Martin Flügge, der fast ohne Zuhörer über eine glänzend recherchierte Biographie von Marta Feuchtwanger berichtet und amüsiere mich über Christine Westermann und Jörg Thadeusz beim blauen Sofa.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAm nächsten und meinem letzten Messetag hält es mich vor dem gläsernen ARD Hörfunkstudio, Gerd Koenen im Gespräch über sein Che Guevara Projekt: Traumpfade der Weltrevolution. Hier wird mit Legenden aufgeräumt. Friedenskämpfer Guevara liebte den Krieg und verehrte Stalin? Seine letzte Lektüre Nietzsche, der Übermensch? Warum ging er in den bolivianischen Dschungel, wo doch von vornherein klar sein musste, dass es ein Zug in den Tod würde? Hatte er Todessehnsucht? War er gar nicht der Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit, den so viele in ihm sahen und sehen? Trotz dieser tiefen Kratzer am Mythos bin ich seltsam berührt von Carlos Pueblas eingespieltem Kultsong ‚Hasta siempre comandante‘ mit wunderschönen Gitarrenakkorden begleitet im kühlen Wind auf der sonnigen Agora.

Es gäbe noch einiges zu berichten, zum Beispiel von Cordula Stratmann, die erklärt, warum ein Literaturpapst den ihm zugedachten Preis nicht annehmen kann, wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr im fortgeschrittenen Methusalemalter (denn wer hat schließlich den Preis schon alles in der Hand gehabt?), von der türkischen Autorin Oya Baydar, die ratlos reagiert auf die Frage, warum man muslimische Frauen am Kopftuch erkennt, muslimische Männer aber kein Erkennungszeichen haben (ein weites Feld) und von Frank Goosen, der im Forum der Frankfurter Allgemeinen über das Thema seines neuen Buches redet (Fußball). Ja, das sind kurz zusammengefasst meine persönlichen Eindrücke in dem Universum von Hallen, Foren, Ständen und Büchern. Mir bleibt die Beschäftigung mit der Frage: Was haben Ernesto Guevara und Ulrike Meinhof gemeinsam, Traumpfade vielleicht?

(C) Renate Hupfeld 10/2008

Weitere Bilder gibt es hier: Frankfurter Buchmesse 2008

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