„Der Bücherprinz – als der Beat nach Westfalen kam“ war der Titel einer Lesung im Rahmen der Ausstellung „We want to make a Revolution – Der Herforder Jaguar-Club“ im Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde. Heimspiel für den Bücherprinzen Ruprecht Frieling. Viele Freunde von früher und heute waren in den Torhaussaal gekommen und ließen sich mitnehmen auf eine kurzweilige Zeitreise in die ostwestfälischen Sechziger. Hier wurde Ruprecht geboren, ging zum Thomas-Morus-Gymnasium und machte Eltern und Lehrern das Leben schwer. Kirchgang schwänzen? Nogo! Freche Texte in der Schülerzeitung? Skandal! Lange Haare? Oh Gott! Die armen Eltern, gestraft mit einem Enfant terrible. Der Spross machte, was er wollte, fuhr abends nach Bielefeld oder nach Herford in den Jaguar-Club von Carola Frauli.
Die freakige Gründerin der Location brachte es fertig, die angesagtesten Größen der Popularmusik in diesen ehemaligen Kinosaal zu holen, wie Eric Clapton, Rod Steward und Jimi Hendrix. Und der Oelder Paradiesvogel brachte es fertig, auch ohne Eintrittskarte hineinzukommen. Seine Dienstleistung, mangels Knete in Form von Fotos von den Veranstaltungen zu zahlen, akzeptierte Carola. So reihte sich Anekdötchen an Anekdötchen aus Elternhaus, Schule und Club, überaus kurzweilig erzählt und gelesen. Lustig allemal, wenn wir hören, Jimi wäre an dem Abend wohl etwas krank gewesen und brauchte dagegen … na ja.
Wie hab ich diese Zeit eigentlich erlebt? Auch ich musste aus katholischem Kleingeistmief flüchten. Mädchengymnasium. Aber es gab ja Ferien. Und sobald die begannen, strebte ich zum Hammer Bahnhof. Um Mitternacht fuhr der D-Zug in sieben Stunden zum Bahnhof Zoo. Zu Hause jedes Mal: „Dafür kriegst du kein Geld“ und jedes Mal die Gewissheit: Im Briefkasten in der Handjerystraße gibt’s einen Fuffy. Und mit dem kam man in Berlin ganz schön weit, für 50 Pfennig S-Bahn fahren, Bantam Super in der Kantstraße, Aschinger am Zoo, Hühner-Hugo nachts um drei und die „Eierschale“ am Breitenbachplatz. Jazz live. Direkt vor der Bühne seine Helden richtig schön anheizen.
Ja, Kult.
Lesung aus „Der Bücherprinz oder: Wie ich Verleger wurde“
am 29. Juni 2017 im Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde-Stromberg
Du hast genau das getan, was man im besten Fall nach einem solchen Abend leisten kann: Das eigene Erleben abgleichen mit dem, was vorgestellt wurde. Und natürlich erinnere ich meine ersten Berliner Jahre 1968/69 genau wie du: die preiswerte Erbsensuppe (mit Nachschlag) bei »Aschinger«, »Bantam Super« und »Bilka« nahe Bahnhof Zoo, »Hühner-Hugo« »Wienerwald« und »Eierschale«. Lediglich letztere war mir zu konventionell, wir Beatniks bevorzugten »Zodiac«, »Closed Eye« und das »(Unergründliche) Obdach (für Reisende)«.
… und du hast die Berliner Zeit unglaublich facettenreich beschrieben in deinem Buch. Ich erkenne vieles wieder, von den nach Lysol stinkenden Eisenbahnwagen über die Fahrt durch die „Steppe“ bis zur graudüsteren Atmosphäre in Marienborn, die ich ganz tief in Innern nicht ernst nehmen konnte, jedoch wusste, dass der eine oder andere Freund dort schon ziemlichen Ärger mit den Vopos bekommen hatte. Fresse halten, war die Devise. Ein wirklich tolles Portrait dieser Zeit, vor allem für die später Geborenen, die dieses deutschdeutsche Desaster nicht erlebt haben und sich wohl gar nicht vorstellen können, dass es so einen Schwachsinn in Deutschland gab.
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