Von der Weststraße in der Hammer City biege ich ein in die schmale Gasse, „Rue de Toul“ genannt. Am Ende dieser Gasse befindet sich das „Tor der Wachsamkeit“. Zwei hohe Metallsäulen werden überspannt von einem fein eingearbeitetem Metallteil, in das ein großes bewegliches Auge eingebaut ist, allerdings ist das ziemlich hoch und auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Ich kann nicht sagen, wie oft ich dieses Tor durchquere, jedenfall immer, wenn ich in der City unterwegs bin und das ist oft, ich wohne ja nicht weit entfernt. In jedem Falle denke ich an Manfred Billinger. Der hat im Jahre 1992 dieses Tor geschaffen. Warum er den Titel „Tor der Wachsamkeit“ gewählt hat, lese ich in einer Publikation vom Klartext Verlag „Skulpturenführer Hamm. Zwischen Bärenbrunnen und Wolkenschaukel“: „Mein Tor habe ich der Wachsamkeit gewidmet, der Zustand, der den Menschen vor Schaden bewahrt? Vor Täuschungen, vor Irrtümern, ist Wachsamkeit nicht möglicherweise eine Tür oder ein Tor zum Glück zur Zufriedenheit, zum Paradies auf Erden? Wach sein heißt im hier und jetzt gegenwärtig zu sein.“
Und ich denke an meine letzte Begegnung mit Manfred, nur ein paar Meter von hier entfernt vor der Einhorn Apotheke. Es war so eine seltsame Begegnung. Ich glaube, ich sagte wohl so was Ähnliches wie ‚Hallo Manfred‘ und er … nichts. Stand mir gegenüber, sah mich an und schwieg. Hatte er mich überhaupt erkannt? Wir hatten uns doch oft gesehen, im Bauernhaus zwischen den Feldern und später hier in der Stadtwohnung. Ja, wir hatten uns wohl ein paar Jahre nicht gesehen. Manfred war inzwischen als Künstler großer Bilder und Skulpturen in Hamm und überregional bekannt. Ich sagte auch nichts mehr. Und so standen wir eine Weile schweigend. Ich sah den Jungen an, der neben ihm stand. Das musste sein Sohn sein, seinerzeit auf dem Bauernhof ein knuddeliges Baby. Ich war dort wohl einen halben Tag lang mit einer Freundin, die wegen eines längeren Amerikaaufenthales ihre Möbel in Manfreds Schuppen lagern wollte. Der Schuppen war sein Atelier. Stolz führte er uns herum und zeigte uns seine Arbeiten. Nur welche waren das denn eigentlich? Hier verlässt mich die Erinnerung. Mehr interessierte mich die Idylle auf dem Land, das einfache Leben zwischen Feldern und keinem Nachbarn in Sichtweite. Mann, Frau und Baby. Zum Essen gab es Pfannkuchen mit Gemüse. Nie werde ich das Bild vergessen, als wir uns verabschiedeten. Drei strahlende Billingers, Baby auf Manfreds Arm, stehen vor dem Bauernhaus zwischen sonnigen Feldern und winken.
R.I.P. Manfred Billinger (* 1953 in Münster, + 10. Februar 2001 in Hamm)