Dass ich als überzeugte Anhängerin der Fraktion Wagner-nein-danke meine Vorbehalte beiseite lege und nun versuche, mich von einer anderen Seite diesem Komponisten des 19. Jahrhunderts zu nähern, ist der Erzählung „Der Ring des Nibelungen I – IV“ von Ruprecht Frieling zu verdanken.
Mein allererster Leseeindruck scheint meine Haltung zu bestätigen. Wie gehen die Figuren eigentlich miteinander um? Schöne Töchter, fiese Gestalten, Dämonen, Drachen, Intrigen, Raub, Mord, Erotik, Inzest, Psychosen. Nach One-Night-Stand und Ankündigung des Ring of Fire warte ich auf den Moment, wo es mich endlich packt. Das ist der Fall, als der unerschrockene Siegfried den Feuerring überwindet und zum ersten Mal in seinem Leben unsicher wird. Er entdeckt die auf den Felsen verbannte und verpanzerte Walküre und anstatt draufgängerisch den Panzer zu entfernen, agiert er liebevoll und sanft. Er hat sich verliebt. Schluss mit Horror. Endlich Liebe. Doch nein, es geht weiter mit Heuchelei, Intrigen und Gräueln. Mit einem k.o.-Drink wird Siegfried ausgeschaltet, erinnert sich an nichts und steckt mittendrin in diesem Pfuhl der Irrungen, Wirrungen und Grausamkeiten. Jetzt hoffe ich, dass die enttäuschte Amazone auf geschmeidigem Ross mit dem Schwert in der Hand das Ding herumreißt und den Helden zeigt, wie es geht. Doch nein. Sie schafft es nicht.
Zur Erstaufführung der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in Bayreuth berichtete die Schriftstellerin Malwida von Meysenbug am 19. Juli 1876 ihrem Neffen: „Ich bin nämlich jetzt fast drei Wochen hier, wohne täglich den Proben bei und kann nur in Wahrheit sagen, daß etwas so Großes, so Außergewöhnliches in der Kunst noch nie dagewesen ist.“ Was machte Wagners Inszenierung seines vierteiligen musikalischen Dramas so außergewöhnlich? Die Antwort bekomme ich von Malwida auch nicht in ihrem „Lebensabend einer Idealistin“. Es ist ziemlich dürftig, wenn sie 1898 erinnernd schreibt: „Hier sollte ein Kulturwerk entstehen, wie die moderne Geschichte nichts Ähnliches aufzuweisen hatte, ein Kulturwerk im griechischen Geist, wo nur einmal im Jahr, losgelöst von den Fesseln der Alltäglichkeit, das deutsche Volk sich versammeln und im Spiegelbild höchster Kunstschöpfungen, sein eigenes edelstes Selbst verklärt erkennen sollte.“
Große Worte, doch worum geht es denn eigentlich? Ich nehme mir Frielings Erzählwerk noch einmal vor und fühle mich im ersten Bild des „Rheingold“ plötzlich wunderbar verstanden, wo er schreibt: „Die Rheinladies sind fest überzeugt, dass alles, was lebt, auch lieben will: Kein Lebewesen entsage der Liebe; also könne auch Alberich nie zu einer wirklichen Bedrohung für den Schatz werden.“ Die schönen Nixen irren. Das edle Metall wird geraubt und damit nimmt das Unheil seinen Lauf bis zum völligen Zusammenbruch der walhallischen Welt. Man kann es ruhig so stehen lassen, wenn der Erzähler im letzten Bild der „Götterdämmerung“ eine Frage in den Raum stellt: „Eine neue Zeit bricht an: die Ära der Menschen. Ob diese Spezies in der Lage ist, den Verlockungen des Goldes standzuhalten und ein freies und selbstbestimmtes Dasein zu führen?“
Wem es wichtig ist, zum 200. Geburtstag von Richard Wagner sein Halbwissen zu komplettieren und Vorbehalte abzubauen, die größtenteils auf Geschehnisse nach seinem Tod begründet sind, der sollte diese Opernerzählung unbedingt lesen. Der Autor hat die in zeittypischer Sprache geschriebenen Libretti für heutige Leser übersetzt und mit Frieling’schem Humor so spritzig geschrieben, dass man beim Lesen meint, Instrumente und Gesang zu hören, die Figuren plastisch vor sich sieht und laut lachen muss, zum Beispiel wenn der Recke an der Dame des Hauses herumfummelt. Und den Aktualitätsbezug hab ich ja wohl im vorigen Abschnitt deutlich gemacht.
Fullhouseempfehlung!!!!!
E-Book: Der Ring des Nibelungen I – IV Opernerzählung von Ruprecht Frieling
Ich finde es großartig, wenn ein Mensch, der voller Wagner-Vorbehalte steckt, sich die Mühe macht, das »Ring«-Epos zu studieren. Für mich war früher selbst Wagner ein Synonym für Hitler, weil sich dieser kunstlose Massenmörder am Bombast der Wagnerschen Orchestermusik berauschte. Aber können wir dem Komponisten die Schuld geben, wenn ein Massenmörder seine Musik mag, und – viel wichtiger – ist die Musik schlecht, weil sie auch Schwerverbrechern gefällt?
Einen Teil der Antwort auf diese Fragen finde ich in der Notwendigeit des Wiederankoppelns von Musik und Text. Hitler war nahezu Analphabet, er konnte bestenfalls der Tondichtung lauschen. Auch im heutigen Bayreuth wird viel Wert darauf gelegt, Form und Inhalt zu trennen. Der Inhalt der Oper ist mir indes genauso wichtig wie ihre Musik.
Wagners Texte sind revolutionär und zeitgemäß, seine Themen passen ausgezeichnet in unsere Zeit, seine Geschichten snd heute noch quicklebendig. Der »Ring« ist ein Gesamtkunstwerk wie keines je zuvor, weil es alle Genres und Komponenten miteinander verknüpft und zum Klingen bringt. Wenn mein Opern(ver)führer auch nur einen kleinen Beitrag leistet, den Wagner-Kosmos zu entdecken, dann bin ich glücklich.
Ich gestehe, ich bin befangen: Dem Lektor des oben rezensierten Werkes \\ c’est moi 😉 allerdings gefallen die Worte der Rezensentin ebenfalls, und warum sollte er das nicht kundtun?
Ruprecht Frieling hat auf spitzbübische Weise den schweren Wagner-Schinken vom Kulturhaken genommen, hat ihn „enträuchert“, fein aufgeschnitten und selbst für Vegetarier (Anti-Wagnerianer) verdaulich gemacht. Herauskam ein Werk, das zeigt, wo so viele vorgeblich moderne Mythen ihren Ausgang nehmen: im „Ring des Nibelungen“.
Ich finde, Ruprechts Werk sollte jedem Schüler in die Köpfe ge-kindlet werden!