Archimedes aus dem Wald

Cover Archimedes Mini (2)Alt, dumm, verrückt? Wird seine Arbeit als Gartenspezialist denn gar nicht mehr gebraucht? Fast kommen einem die Tränen, wenn man von dicken glänzenden Öltropfen liest, die dem todtraurigen Archimedes über die Metallhaut kullern und ihm die Antennenohren bis zum Boden hängen. Doch mit dem Schicksal des Alteisens will der kleine Roboter sich nicht abfinden. Bevor sie ihn verschrotten, flüchtet er und versteckt sich im tiefsten Wald. Dort finden wir ihn vor und freuen uns, wenn er sich auch damit nicht abfinden will. So verfolgen wir mit Spannung seine zweite Flucht, auf der ihn der Archimedes Song begleitet, den er sich selbst geschrieben hat. Nein, altes Eisen ist er nicht. Basta. Was erwartet ihn, als er nach langer Wanderung auf eine Ansiedlung von Menschen trifft? Findet er in den Gärten von Wirt, Feuerwehrmann, Bäcker oder auf dem Bauernhof neue Arbeit? Was werden General Peng, die Witwe mit der schwarzen Haube und Bürgermeister Bolle dazu sagen? Nun, da sind ja noch die Kinder, vor allem Timor, Sondra, Björn und Fletscher. Eine richtige Rasselbande mit sicherem Unterschlupf, guten Ideen und Leopold, einem Bild von einem Lehrer. Aber lest selbst.

Fullhouseempfehlung für Menschen ab sechs.

Wilhelm Ruprecht Frieling, Der Roboter Archimedes und die Rasselbande

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Tag der deutschen Einheit

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Wenn wir uns am 3. Oktober über den Tag der deutschen Einheit als gesetzlichen Feiertag freuen, weil wir an die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1989 denken, sollten wir nicht vergessen, dass es einen Tag der deutschen Einheit gibt, der diesen Titel verdient und leider im öffentlichen Bewusstsein noch keinen Platz gefunden hat. Im aktuellen Flugblatt der Bürgerinitiative Aktion 18. März heißt es:

Der 18. März ist eines der bedeutendsten Daten in der
Demokratiegeschichte Deutschlands. Am 18. März 1848
kapitulierte das Militär des preußischen Königs vor den
Kämpfern für Freiheit und Demokratie. König Friedrich
Wilhelm IV. musste seinen Hut vor den Toten ziehen, die in
blumengeschmückten Särgen vor das Schloss getragen
wurden. Ohne die Kämpfe am 18. März hätte es keinen
18. Mai gegeben, der Tag an dem die Nationalversammlung
in der Paulskirche zusammentrat. Die Märzrevolution war
Teil einer europaweiten Bewegung gegen Fürstenwillkür
und Absolutismus. Paris, Wien, Budapest, Mailand sind als
Orte bekannt, der Italiener Garibaldi und der Pole
Mieroslawski stehen als Namen für den europäischen
Charakter der Revolution. In den USA sind die Fortyeighters
hochangesehen, allen voran Carl Schurz. – Die Epoche vor
und um 1848 ist als Völkerfrühling bekannt. Der 18. März
ist ein Symbol für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Das Datum 18. März 1848 steht stellvertretend für den
27. Mai (Hambacher Fest 1832), den 18. Mai (Frankfurter
Paulskirche 1848), den 27. Dezember (Verabschiedung der
Grundrechte 1848) und die vielen Ereignisse der Revolution
in Baden 1848/49. Der Revolutionsdichter Ferdinand Freiligrath
hat den Geist dieser Zeit zusammengefasst:
›Eskommt dazu trotz alledem, dass rings der Mensch die
Bruderhand dem Menschen reicht‹ und ›Wir sind das Volk,
die Menschheit wir‹.
Mit dem Wunsch, den 18. März zum
Gedenktag zu erklären, soll an diesen Geist angeknüpft
werden.

Die Aktion 18. März setzt sich für dieses Datum als nationalen Gedenktag ein. Ihr ist es auch zu verdanken, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor jetzt Platz des 18. März heißt. Dort veranstaltet sie jährlich am 18. März um 15 Uhr eine Feier, um der gefallenen Kämpfer der Märzrevolution in Berlin zu gedenken.

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trotzalledem

Fotos: © Renate Hupfeld (19. September 2013)

Dazu ein Beitrag im Blog zur Lebensgeschichte des Detmolder Theologen, Schriftstellers und Journalisten Theodor Althaus (1822 – 1852):

Bluttaufe der deutschen Freiheit

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Verhüllung im Gasometer

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Er hat den Pont Neuf in Paris, den Reichstag in Berlin und Parkwege verhüllt. In Oberhausen hat Christo Luft verpackt, sozusagen das Innere des Gasometers in einen Luftballon verwandelt. Weiß, riesig und auf eine Weise zart begrenzt. Nach Drehtür, Luftschleuse und Treppe bin ich sehr gespannt, wie sich die Begehung dieses Kunstwerks anfühlt.

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Unglaublich klein komme ich mir vor in dieser surrealen Welt, scheinbar endlos und vor allem weiß, ein endloses Weiß, das mich kein bisschen frösteln lässt, sondern innehalten. Und das geht vielleicht auch den anderen so, die sich hier bewegen, auf Kissen sitzen oder liegen und vor allem nach oben in die Mitte schauen, wo eigentlich das Kunstwerk zu Ende ist und man sich doch darüber hinaus träumt, nach außen, nach innen oder umgekehrt.

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Fotos: © Renate Hupfeld (Im Gasometer Oberhausen am 22. September 2013)

Mehr Fotos zu Christos BIG AIR PACKAGE im Gasometer Oberhausen gibt es auf meiner Homepage www.renatehupfeld.de

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Grundstein der Demokratie

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Am Grundstein der Demokratie – Die Revolution 1848 und der Friedhof der Märzgefallenen ist der Titel einer Ausstellung, die zur Zeit auf dem Hügel im Volkspark Friedrichshain zu sehen ist. Diese Gedenkstätte erinnert an den 18. März 1848, als die Berliner Bevölkerung in beispielloser Einigkeit um Freiheit und Demokratie kämpfte und für ein paar Tage die Militärherrschaft ihres Königs Friedrich Wilhelm IV. besiegte. Leider nur für ein paar Tage, denn als wieder Ruhe war in der Stadt, hatte der König seine Versprechungen vergessen und sorgte dann ein Jahr später mit der Ablehnung der Kaiserkrone dafür, dass die vom Volke gewählten Männer um die Früchte ihrer monatelangen Arbeit an der Reichsverfassung gebracht wurden. Das mussten die Gefallenen der Berliner Blutnacht vom 18. zum 19. März nicht mehr erleben. Doch sie haben es verdient, dass wir uns daran erinnern, wofür sie gestorben sind.

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Und selbst wenn wir nicht mit allen politischen Entwicklungen zufrieden sind, sollten wir doch täglich daran denken, dass wir das haben, was vor 165 Jahren in weiter Ferne schien, ein demokratisches Deutschland. Wie erfreulich, dass es auch nach dem Abbau der Installation den Friedhof der Märzgefallenen als Gedenkstätte an den Grundstein der Demokratie dauerhaft gibt.

Weitere Informationen zur Gedenkstätte in Friedrichshain gibt es hier:

Friedhof der Märzgefallenen

Fotos: © Renate Hupfeld (Auf dem Friedhof der Märzgefallenen, fotografiert am 19. September 2013)

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Print Reader Tablet

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Als ich mein Manuskript zur Biografie von Theodor Althaus fertig gestellt hatte, nach Jahren der Recherche, immer schwankend zwischen Aufgeben, weil ich fürchtete, mich in den komplizierten historischen Vernetzungen zu verzetteln, und Weitermachen, weil ich doch nun schon so viel über Leben und Schaffen meines Protagonisten wusste und weitergeben wollte, stand ich vor der Frage: Was mache ich nun damit?

Wie durch einen günstigen Zufall lag im Sommer 2011 ein Kindle Reader auf unserem Wohnzimmertisch, der inzwischen für erschwingliche 99 Euro zu haben war. Dazu kam, dass meine Schreibkollegin Annemarie Nikolaus plötzlich die Idee hatte, unseren in einem Forum gemeinsam erstellten Adventskalender als E-Book herauszugeben. Im September 2011 konnte ich unsere SienceFiction Leuchtende Hoffnung auf unserem Reader lesen.

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Wie macht man denn eigentlich so ein E-Book? Diese Frage beantwortete Wilhelm Ruprecht Frieling mit unglaublicher Kompetenz und erfrischendem Humor in einem Ratgeber E-Book.

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Zwei Monate später stand Theodor Althaus – Revolutionär in Deutschland im Kindle Shop zur Verfügung, mit Blick ins Buch.

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Ein Jahr später konnte ich es dann auch auf dem Tablet lesen und jetzt, zwei Jahre später, kann ich in meiner Meine E-Book Galerie neun E-Books vorstellen.

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Rasante Entwicklung, kann ich da nur sagen und warum ich das gerade heute geschrieben und publiziert habe? Weil ein Facebooknutzer namens Tim Rohrer eine Veranstaltung zum Welttag des eBooks erstellt hat und ich mit diesem Blogartikel daran teilnehme, und weil ich den 6. September zu meinem persönlichen Tag des E-Books erkläre.

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… in Gedanken berühren …

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Wer war dieser Autor, dem am 15. März 2011 für seinen Roman Sand der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen wurde, der ihn jedoch nicht persönlich entgegen nahm und beim Gespräch auf dem blauen Sofa nicht dabei war? War er wirklich zu krank oder war sein Nichterscheinen vielleicht eine Promotionstrategie? Beides war für mich möglich in dem Moment, als ich in der Glashalle zuschaute, wie der Moderatur und ein Freund des Autors versuchten, ein Gespräch über das Buch zu führen. Ratlosigkeit schwang für mich mit. Und wie betroffen, ja beschämt, war ich jetzt, als ich erfuhr, dass Wolfgang Herrndorf am 26. August 2013 in Berlin gestorben war.

Als ich dann auf sein Weblog aufmerksam wurde und begann, seine Eintragungen zu lesen, war ich nicht nur unglaublich berührt, sondern gleichzeitig geschockt und schwer beeindruckt angesichts der Sprachgewandtheit und des sprudelnden Wortwitz von Wolfgang Herrndorf. Ja, dieser Wortkünstler hatte den Preis mit Sicherheit verdient. So erschütternd es ist, zu lesen, wie ein junger Mensch plötzlich von einem Monster beherrscht wird und seine Lebensfunktionen nach und nach schwinden, so tröstend andererseits, einen bis dahin fremden Menschen sympathisch zu finden und ihm so nahe zu kommen. Da ist diese liebenswerte Art von Humor, die es einem erleichtert, die ungeheuerlichsten Gegebenheiten und fiesesten Facetten des Krankheitsverlaufes mitzuerleben. Ja, diese Leichtigkeit, die er selbst angesichts des unaufhörlich sich nähernden Todes nicht verliert. Kein Jammern, warum gerade er. Kein Hadern. Und das Monster macht es ihm verdammt schwer. Jeder muss einsehen, dass er sich aus der Öffentlichkeit zurück zieht, keine Fragen, keine Interviews. Nein, Mitleid will er nicht, Mitleid macht ihn wütend. Ganz normal soll man mit ihm umgehen. Hilfe? Klar, wenn er denn Hilfe braucht. Und das ist in zunehmendem Maße der Fall. Wenn ihm ein Wort nicht einfällt, wenn er seinen eigenen Text nicht mehr lesen kann, wenn er nicht mehr nach Hause findet. Dem fiesen Monster zum Trotz arbeitet er bis an die Grenze der Belastbarkeit weiter an seinem Wüstenroman. Und er kann Sand trotz Operationen und belastenden Therapien vollenden. Nur hat er dann kaum noch die Kraft, sich über den Erfolg zu freuen. Mit keinem Satz erwähnt er den Leipziger Preis. Viel zu intensiv ist er beschäftigt damit, seinen Alltag zu bewältigen und sein Leben selbstbestimmt weiter zu führen.

Ein Frühling und ein Sommer blieben ihm noch, als er 18. Februar 2013 schrieb:

Ich kann den heutigen Abend in Gedanken berühren. Dahinter ist nichts.

aus: Arbeit und Struktur

Wolfgang Herrndorf (*12. Juni 1965 +26. August 2013) R.I.P.

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… gegen das Monster

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Ganz still im Hintergrund war er dabei, doch zu krank, um persönlich anwesend zu sein und am 15. März 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse entgegenzunehmen. Das Gespräch über seinen Roman Sand führte der Moderator mit einem Freund.

Jetzt hat er sich mit lautem Knall verabschiedet. Als hätte er das Monster zerstört. Der Nachwelt hinterlässt er ein Weblog, das berührender nicht sein könnte.

Danke Wolfgang Herrndorf.

R.I.P.

Weblog: Arbeit und Struktur

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Frieling fragt E-Book Autoren

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Als langjähriger Kenner des Buchmarktes gibt Ruprecht Frieling aus Autoren- und aus Verlegersicht eine umfassende Chronologie des digitalen Publizierens mit Seitenblick zu einem erfolgreichen E-Booker in Amerika und drei Kapiteln zur Entwicklung in Deutschland beginnend mit dem Geburtsjahr des Kindle über Jahr Eins nach Kindle bis zum Jahr Zwei nach Kindle.

Die fünfte Auflage seines Buches Wie man erfolgreich E-Books verkauft ist somit gleichzeitig ein Rückblick auf die Anfänge des selbstbestimmten Verlegens in Deutschland. Mit der Schaffung der Kindle Direct Publishing Plattform im Jahre 2011 wurden tausende Autoren mit einem Schlag independent. Unabhängig von Verlagskapazitäten und –programmen konnte plötzlich jeder Autor sein Manuskript ohne Klinken putzen, langes Warten und ohne großen technischen Aufwand digital publizieren. Frieling hat einige Protagonisten der deutschen E-Book-Szene befragt, denen der Sprung in die Bestsellerlisten des Kindle Shops gelungen ist. Wie erklären sie sich ihre Erfolge? Was hat sie nach oben gebracht? Waren es die sozialen Netzwerke, die Blogger oder sogar der Zufall? Alles scheint möglich im neuen Wunderland der Digitalisierung. Hanni Münzer bringt es auf den Punkt, wenn es im Inhaltsverzeichnis heißt: Das Geheimnis des Erfolges ist ein Geheimnis. Dabei scheint jedoch in einem Punkt Einigkeit zu herrschen: Wichtigste Voraussetzung ist ein gutes Buch.

Auch wenn ich mich frage, was mir erklärte oder unerklärliche Erfolgsgeschichten für meine eigenen Publikationen bringen, empfehle ich dieses Buch uneingeschränkt. Frieling bietet außer intelligent und spritzig dargestellten Einblicken in das Leben und Arbeiten einiger Top-Autoren umfassende Informationen und eine kompetente Einschätzung der Entwicklungen auf dem Buchmarkt im Zusammenhang mit der digitalen Revolution.

Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ bei mir, als Angehörige der Zielgruppe, das Gespräch mit Johannes Zum Winkel, der mit seiner Plattform xtme.de ein beachtenswertes Konzept des Buchmarketings geschaffen hat. Das von ihm gezeichnete Bild der Chart-Schaufenster, in die es ein Titel schaffen sollte, werde ich im Auge behalten. Jenseits von ausufernden Werbebemühungen in den Social Communities und fragwürdiger Rezensionsflut scheint mir seine Präsentation von ausgesuchten Büchern ein zukunftsweisender Weg zu sein, um Autoren und Leser zueinander zu bringen.

Ruprecht Frieling: Wie man erfolgreich E-Books verkauft

xtme.de

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Museum Ludwig: Be free mit Andrea Fraser

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Als ich zwei Tage vor Beginn der Ausstellung, die am 21. April 2013 im Museum Ludwig in Köln eröffnet werden sollte, zufällig einen Videoschnippsel von Andrea Fraser erwischte, war ich fasziniert von der Ausstrahlung der Künstlerin, die im kleinen Schwarzen Besuchern einer Galerie Bilder erklärte. Mit ihrer unglaublichen Präsens in Sprache, Mimik und Gestik sprang sie mich förmlich an. Gestern nun kam ich dazu, diese Ausstellung zu besuchen, die im Museum Ludwig anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises 2013 an Andrea Fraser zu sehen ist.

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Das Plakat am Treppenabgang in das Untergeschoss zeigt ein Motiv, das ich aus der Informationsbroschüre kenne. Es gehört zur Videoinstallation „Projektion“ von 2008, die ich mir später in einem dunklen Raum auf einem Höckerchen sitzend ansehe. An zwei gegenüberliegenden Wänden sitzt Andrea Fraser im großen Sessel, an der einen Wand völlig verkrampft als verunsichertes Psychiatriemäuschen und auf der anderen völlig entspannt als überlegen kompetente Therapeutin.

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Vor dem Eingang zur Ausstellung gehe ich mehrmals um einen von der Künstlerin arrangierten Haufen von knallbunt glitzernden Resten von Karnevalskostümen und -requisiten wie Kopfschmuck, Puschel, Boas, Krallen und Flügel herum. Dieses Objekt darf ich noch fotografieren und das tue ich nun von allen Seiten. Dazu passt auch das Coverfoto auf dem nebenan ausliegenden dicken Katalog, der an den Ecken schon ziemlich benutzt aussieht.

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Durch einen dichten Stoffstreifenvorhang erreiche ich nun das Allerheiligste und bin sogleich konfrontiert mit der zum großem Wandbild an der Außenseite des Museums gehörenden Performance mit dem vielsagenden Titel „Kunst muss hängen“. In weißem Hemd unter schwarzem Anzug, auf Schuhen mit Blockabsatz agiert die Künstlerin zwischen zwei an der Wand hängenden Bildern. Trinkglas in der Linken, mit der Rechten gestikulierend und cool hin- und hergehend hält sie eine Rede, die mich neugierig macht auf weitere Exponate. Ich hangele mich von Raum zu Raun, von einem dicken Vorhang zum nächsten und lasse mich von dieser faszinierenden Künstlerpersönlichkeit verzaubern. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ nicht das Video, das sie in einer Sexszene mit einem zahlenden Sammler zeigt, sondern die Performance einer weiteren Rede. „Official Welcome“ ist der Titel und zeigt Andrea Fraser in schwarzem Schlabberkleid mit gebundenem Halsband vor dem Dekolletee hinter einem weißen Stehpult. Hier darf ich sogar im weichen Sessel sitzen und in aller Ruhe die unvergleichliche Präsens ihrer gesamten Erscheinung auf mich wirken lassen. Und das ist fesselnd, auch wenn ich nicht alle Feinheiten verstehe. Nach einer ganzen Weile nestelt sie an dem Band vor dem Dekolletee, rafft das schwarze Kleid und streift es, die ganze Zeit weiter redend, über den Kopf. Nun steht sie da, die kleinen Brüste im knappsten schwarzen BH verpackt und macht weiter, stellt sich plötzlich neben das weiße Pult, sodass man auch ihr schwarzes Tangahöschen bestaunen kann, nicht nur von vorne, sondern auch den ganzen wohlgeformten Popo. Nachdem sie sich auch ohne BH und Tanga präsentiert und nackt weiter geredet hat, streift sie das Schlabberkleidchen wieder über und beendet die Rede. Ja, eigentlich nichts Besonderes in unserer Sex-sells-Welt, doch das hier ist etwas anderes. Andrea Fraser nimmt sich die Freiheit, sich unglaublich sexy zu präsentieren ohne den Anschein zu erwecken, sie wolle sich anbieten. Für mich ist das Kunst.

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Walter Jens und die literarischen Geheimberichte im Vormärz

1977-WalterJensGeleitwort

Wenn ich an Walter Jens denke, fällt mir sofort sein Geleitwort zu „Literarische Geheimberichte – Protokolle der Metternich-Agenten Band I – 1840 – 1843“ aus dem Jahre 1977 ein, vor allem der Inhalt der drei letzten Abschnitte:

Der Adressat, dem die Berichte der von ihm geschaffenen polizeilichen Nachrichtenstelle galten: Das ist die eine Hauptfigur, die der Leser bei der Lektüre hinzudenken sollte – Klemens Wenzel Fürst von Metternich. Er, der Kanzler, ist in jeder Zeile dieser Aufzeichnungen präsent – das unterscheidet ihn von seinen Gegenspielern, den eigentlichen – den unsichtbaren, der Imagination des Lesers bedüftigen – Protagonisten der Konfidenten-Berichte: den Opfern. Den Gefolterten, Gequälten und zum Wahnsinn Getriebenen. Den Männern vom Schlage des Pfarrer Weidig, ihr Schicksal muß man sich vor Augen halten, um die Wahrheit, die schauerliche Realität zu erkennen, die sich hinter diesen, aus der Metternich-Perspektive gelassen, ja amüsiert zu lesenden Nachrichten verbirgt.
Märtyrien à la Weidig: Ein feuchtes Kellerloch, ein stinkender nicht zu verschließender Kübel, kein Briefverkehr mit der Außenwelt, kein Schreibzeug, kein Licht, keine Möglichkeit, die eigene Frau wenigstens durchs Fenster sehen zu dürfen; kein warmes Bettzeug, keine ärztliche Hilfe. „Da mir der Feind jede Verteidigung versagt“, schrieb Weidig, nachdem er sich die Halsader durchschnitten hatte, mit seinem Blut an die Wand, „so wähle ich einen schimpflichen Tod von freien Stücken.“ Am 23. Februar 1837, morgens um acht, fand man den Gefangenen „mit einem Schlafwämmschen und Blut beflecktem Hemde bekleidet“ – und ließ ihn liegen, obwohl er noch atmete.
Zweierlei also ist hinzuzudenken bei der Lektüre dieser Berichte: der Leser in Wien und die Opfer seines Regiments. Der Kanzler und die in den Arresthäusern zu Tode Geprügelten, in geheimen Strafprozessen Verurteilten, den Inquisitions-Praktiken der Metternich-Aera Ausgelieferten – die Akteure, deren Verurteilung der alte Machinist in der Loge und seine erlauchten Kombattanten, die auf Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten bedachten Feudalherrn, verlangten.

Danke für diese Zeilen, Walter Jens.

R.I.P.

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