Als ich zwei Tage vor Beginn der Ausstellung, die am 21. April 2013 im Museum Ludwig in Köln eröffnet werden sollte, zufällig einen Videoschnippsel von Andrea Fraser erwischte, war ich fasziniert von der Ausstrahlung der Künstlerin, die im kleinen Schwarzen Besuchern einer Galerie Bilder erklärte. Mit ihrer unglaublichen Präsens in Sprache, Mimik und Gestik sprang sie mich förmlich an. Gestern nun kam ich dazu, diese Ausstellung zu besuchen, die im Museum Ludwig anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises 2013 an Andrea Fraser zu sehen ist.
Das Plakat am Treppenabgang in das Untergeschoss zeigt ein Motiv, das ich aus der Informationsbroschüre kenne. Es gehört zur Videoinstallation „Projektion“ von 2008, die ich mir später in einem dunklen Raum auf einem Höckerchen sitzend ansehe. An zwei gegenüberliegenden Wänden sitzt Andrea Fraser im großen Sessel, an der einen Wand völlig verkrampft als verunsichertes Psychiatriemäuschen und auf der anderen völlig entspannt als überlegen kompetente Therapeutin.
Vor dem Eingang zur Ausstellung gehe ich mehrmals um einen von der Künstlerin arrangierten Haufen von knallbunt glitzernden Resten von Karnevalskostümen und -requisiten wie Kopfschmuck, Puschel, Boas, Krallen und Flügel herum. Dieses Objekt darf ich noch fotografieren und das tue ich nun von allen Seiten. Dazu passt auch das Coverfoto auf dem nebenan ausliegenden dicken Katalog, der an den Ecken schon ziemlich benutzt aussieht.
Durch einen dichten Stoffstreifenvorhang erreiche ich nun das Allerheiligste und bin sogleich konfrontiert mit der zum großem Wandbild an der Außenseite des Museums gehörenden Performance mit dem vielsagenden Titel „Kunst muss hängen“. In weißem Hemd unter schwarzem Anzug, auf Schuhen mit Blockabsatz agiert die Künstlerin zwischen zwei an der Wand hängenden Bildern. Trinkglas in der Linken, mit der Rechten gestikulierend und cool hin- und hergehend hält sie eine Rede, die mich neugierig macht auf weitere Exponate. Ich hangele mich von Raum zu Raun, von einem dicken Vorhang zum nächsten und lasse mich von dieser faszinierenden Künstlerpersönlichkeit verzaubern. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ nicht das Video, das sie in einer Sexszene mit einem zahlenden Sammler zeigt, sondern die Performance einer weiteren Rede. „Official Welcome“ ist der Titel und zeigt Andrea Fraser in schwarzem Schlabberkleid mit gebundenem Halsband vor dem Dekolletee hinter einem weißen Stehpult. Hier darf ich sogar im weichen Sessel sitzen und in aller Ruhe die unvergleichliche Präsens ihrer gesamten Erscheinung auf mich wirken lassen. Und das ist fesselnd, auch wenn ich nicht alle Feinheiten verstehe. Nach einer ganzen Weile nestelt sie an dem Band vor dem Dekolletee, rafft das schwarze Kleid und streift es, die ganze Zeit weiter redend, über den Kopf. Nun steht sie da, die kleinen Brüste im knappsten schwarzen BH verpackt und macht weiter, stellt sich plötzlich neben das weiße Pult, sodass man auch ihr schwarzes Tangahöschen bestaunen kann, nicht nur von vorne, sondern auch den ganzen wohlgeformten Popo. Nachdem sie sich auch ohne BH und Tanga präsentiert und nackt weiter geredet hat, streift sie das Schlabberkleidchen wieder über und beendet die Rede. Ja, eigentlich nichts Besonderes in unserer Sex-sells-Welt, doch das hier ist etwas anderes. Andrea Fraser nimmt sich die Freiheit, sich unglaublich sexy zu präsentieren ohne den Anschein zu erwecken, sie wolle sich anbieten. Für mich ist das Kunst.