Barrikade Jäger- Ecke Friedrichstraße 18. März 2023
„Am 20. März 1848 erreichte er gegen Mittag Berlin. Es war ein seltsames Szenario in der Stadt. Männer, Frauen und Kinder liefen zwischen Barrikaden und herausgerissenen Pflastersteinen. Die meisten feierten einen Sieg. Doch andere suchten verzweifelt nach vermissten Angehörigen. Theodor ging von Kirche zu Kirche, schaute in die jungen Gesichter der dort aufgebahrten Toten, die schrecklichen Wunden, die stille Siegesgewissheit in den bleichen Zügen.
Forderungen im März 1848: Pressefreiheit, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, gesamtdeutsches Parlament, Wahlrecht, Recht auf Bildung für alle…
Auf der Straße sprach er die Menschen an, hörte ihre Berichte über die Ereignisse der Nacht von Samstag auf Sonntag und setzte das Puzzle zusammen über die friedliche Versammlung vor dem Schloss, die Proklamation des Königs, laute Rufe aus der Menge, die Forderung nach Abzug der Soldaten, zunehmende Unruhe, plötzlich ein Schuss von irgendwoher, noch ein Schuss und dann der fürchterliche Sturm. Unaufhaltsam tobte der in Straßen und auf Plätzen. Alle machten mit beim Bau der Barrikaden, vom einfachen Tagelöhner und Handwerker bis zum Beamten, Studenten, Arzt und Advokaten. Frauen, Kinder und Greise waren dabei. Mit allen Mitteln kämpften sie, beschafften Material für den Barrikadenbau, besorgten Waffen, gossen Kugeln, steckten deutsche Fahnen auf, Frauen versorgten die Kämpfenden mit Speisen und Getränken. Unaufhörlich tönten die Sturmglocken in der Stadt. Die ganze Nacht. Bis zum nächsten Morgen. Bis kein einziger Soldat mehr zu sehen war.“
„Der Unerschrockene“ Ernst Zinna *8.9.1830 in Berlin +19.3.1848 in Berlin
So erlebte der 25-jährige Theodor Althaus das blutige Geschehen des 18. März 1848. Als Korrespondent der Bremer Weser-Zeitung war er nach Bekanntwerden des Aufstandes auf schnellstem Wege von Leipzig nach Berlin geeilt, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Sein Artikel erschien am 22. März 1848 auf der Titelseite der Weser-Zeitung unter der Überschrift „Die Berliner Revolution“. Der junge Journalist hatte den historischen Stellenwert des Geschehens als Bluttaufe der deutschen Freiheit erkannt und eine überaus sensible Würdigung des leidenschaftlich entschlossenen Kampfes gegen die starre Willkürherrschaft des schwachen preußischen Königs verfasst mit dem Fazit:
„Die Spionin“ Lucie Lenz *21.10.1824 in Wittstock +1913 in London
„Die giftige Saat, die Untergrabung alles Vertrauens, das schwankende Spielen zwischen der persönlichen Willkür und den gerechtesten Forderungen des Volkes, die Demoralisation der höchsten Staatsgewalten, welche sich durch den Schein und die Heuchelei eine erträumte Macht zu sichern wähnten, ist nun so blutig aufgegangen. Deutschland wird den achtzehnten März dieses Jahres nie vergessen.“ Diese Worte meines Protagonisten Theodor Althaus hab ich im Kopf, als ich am Vormittag des 18. März 2023 an der Jäger- Ecke Friedrichstraße vor der Barrikade stehe.
„Der politisierte Student“ Saul Löwenberg *1824 in Driesen (Neumark) +unbekannt
Die Installation an einem der Schauplätze des vom preußischen Königs befohlenen Massakers mit über 300 Toten ist zum Jahrestag 175 Jahre Märzrevolution für einige Tage Anlaufpunkt rund um das „Berliner Wochenende für die Demokratie“, im Gedenken an eine Zeit, in der gerechte Lebensbedingungen, Pressefreiheit und Mitbestimmung bitter erkämpft wurden. Hier an der Barrikade gibt es Informationen zu Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen, Führungen, Gesprächen, Performances, Aktivitäten.
„Die Angestellte“ Caroline Kleinfeldt *1816 in Königsberg +18.3.1848 in Berlin
An diesem historischen Schauplatz beginnt ein Rundgang zu zehn Berliner Revolutionär*innen und ihren Geschichten, gestaltet als überlebensgroße Figuren von Pop-Art-Künstler Jim Avignon. Da ist der 17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna, bezeichnet als „Der Unerschrockene“, der die Barrikade an genau dieser Stelle verteidigte und von der Kugel eines königlichen Soldaten tödlich getroffen wurde. Wir gehen um den Gendarmenmarkt herum und treffen am Hausvogteiplatz Lucie Lenz genannt „Die Spionin“.
„Die Chronistin einer europäischen Revolution“ Fanny Lewald *24.3.1811 in Königsberg +5.8.1889 in Dresden
Als Sprecherin der demokratisch gesinnten Frauen wurde sie bekannt, nahm in Männerkleidung am Zeughaussturm im Juni 1848 teil und wurde im Dezember 1848 aus Berlin ausgewiesen. Warum Spionin? Nun, sie begann in Köln ein neues Leben als adelige Frau, mit gefälschten Papieren, möglicherweise erworben mit Hilfe des guten Drahtes zu den preußischen Behörden. Wir gelangen zu Saul Löwenberg, genannt „Der politisierte Student“. Er wurde bekannt als Verfasser einer „Adresse der Jugend“ mit einem Katalog demokratischer Forderungen an den König. Am 18. März 1848 kämpfte er auf einer Barrikade vor seiner Wohnung in der Oberwallstraße und wurde durch einen Schuss in die Brust schwer verwundet. Nach Genesung und Promotion war ihm als Jude und Revolutionär allerdings eine akademische Laufbahn in Preußen verwehrt.
„Der Vorreiter der Arbeitergewerkschaften“ Stephan Born *18.12.1824 in Lissa (Polen) +4.5.1898 in Basel
Dienstmädchen Caroline Kleinfeldt stand am Fenster in der Oberwall- Ecke Jägerstraße und wurde beim Blick aus dem Fenster oberhalb einer Barrikade von einer Kugel tödlich getroffen. Auf dem Bebelplatz treffen wir die Schriftstellerin Fanny Lewald, vorgestellt als „Chronistin einer europäischen Revolution“, weil sie die Ereignisse des Jahres 1848 in Paris, Berlin und in der Frankfurter Paulskirche beschrieb und publizierte. Mit ihrem Roman „Jenny“ hatte sie schon einige Jahre zuvor Demokratie und Gleichberechtigung der Frauen gefordert.
„Der rebellische Parlamentarier“ Georg Jung *2.1.1814 in Rotterdam +8.10.1886 in Berlin
Unter den Linden gegenüber den Zeughaus begegnen wir den „Vorreiter der Arbeitergewerkschaften“ Stephan Born. Er nutzte die Unruhen des Jahres 1848, um als glänzender Redner auf die prekären Verhältnisse und sozialen Nöte der Arbeiterschaft hinzuweisen und die bestehenden Arbeitervereine in der „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung“ zusammenzuführen. Nach den Kämpfen um die in der Frankfurter Nationalversammlung erarbeitete Reichsverfassung, an denen er im Mai 1949 auf den Barrikaden in Dresden teilnahm, musste Stephan Born Deutschland verlassen und emigrierte in die Schweiz.
„Der Verpflichtete“ Philipp Theissen *28.1.1825 in Eller an der Mosel +18. oder 19.3.1848 in Berlin
Wir überqueren die Prachtmeile „Unter den Linden“ und betrachten vor dem Maxim Gorki Theater die Figur des Georg Jung. Der 34-Jährige hielt am 22. März 1848 bei der Beerdigung der 183 Toten der Barrikadenkämpfe eine viel beachtete Rede auf dem neu angelegten Friedhof der Märzgefallenen. Mit dieser und seinen anderen Reden für die Souveränität des Volkes erreichte er die Menschen und soll damit den Sturm auf das Zeughaus in Juni 1848 befeuert haben. Als unbequemes Mitglied der preußischen Nationalversammlung wird er „Der rebellische Parlamentarier“ genannt.
„Die Feministin“ Louise Aston *26.11.1814 in Gröningen (Sachsen-Anhalt) +21.12.1871 in Wangen im Allgäu (Baden-Württemberg)
In der Gasse zwischen Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums und Zeughaus begegnen wir Philipp Theissen, „Der Verpflichtete“ genannt. Verpflichtet als Soldat, der am 18. März 1848 in treuer Pflichterfüllung in der Jägerstraße eine Bank bewachte und von den Aufständischen aufgefordert wurde, ihnen sein Gewehr auszuhändigen. Beim Gerangel löste sich ein Schuss und traf ihn tödlich, 23 Jahre alt war er geworden. Einer ganz besonderen Frau begegnen wir beim Künstlermarkt an der Spree an der Ecke des Zeughauses. Ziemlich schräg im positiven Sinne musste sie gewesen sein, trug Hosen, rauchte und sagte in der Öffentlichkeit frei, was sie dachte.
„Die Berliner Grösse“ Rudolf Virchow *13.10.1821 in Schivelbein/Hinterpommern +5.9.1902 in Berlin
Und das war im Sinne von demokratischen Strukturen sowie sozialer und rechtlicher Gleichstellung von Frauen. „Aus dem Leben einer Frau“ und „Meine Emanzipation, Verweisung und Rechtfertigung“ sind Titel ihrer Publikationen. Als „staatsgefährdende Person“ wurde sie im Dezember 1848 aus Berlin ausgewiesen. Der nächste und letzte Protagonist dieses Rundgangs zu den Schauplätzen der Berliner Märzrevolution steht direkt vor dem Berliner Dom gegenüber dem Humboldt Forum. Bekannt ist mir Rudolf Virchow, gesprochen „Fircho“, vor allem als Arzt an der Charité und Entdecker von Krankheitsbildern wie Embolie, Thrombose und Leukämie. Doch Revolutionär? Ja, er war bei den Straßenkämpfen auf der Barrikade dabei, verlor seine Stelle an der Charité und musste Berlin verlassen. Später kehrte er zurück, wurde erfolgreicher Wissenschaftler, setzte sich zeitlebens für Demokratisierung und soziale Gerechtigkeit ein und ist als „Berliner Grösse“ überregional bekannt.
Und mein Protagonist Theodor Althaus? Den sehe ich auf dem Gendarmenmarkt bei den aufgebahrten Toten und am 22. März 1848 beim Trauerzug zum Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain. An diesem Schauplatz der Berliner Revolution gibt es heute (18. März 2023) eine gut besuchte Gedenkstunde mit Eröffnung einer Ausstellung mit Stelen, auf denen die Geschehnisse der Berliner Revolution 1848 dokumentiert werden. Einer der Redner ist Volker Schröder von der Aktion 18. März, die sich seit vielen Jahren um diesen 18. März als nationalen Gedenktag bemüht. Immerhin gibt es auf ihre Initiative den „Platz des 18. März“ vor dem Brandenburger Tor.
Auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Berlin Friedrichshain am 18. März 2023
Auch hier findet im Jubiläumsjahr eine Gedenkstunde mit Kranzniederlegung für die Toten der Berliner Bluttage statt und in Reden wird deutlich, wie wichtig es ist, das Vermächtnis der Kämpferinnen und Kämpfer zu bewahren. Das heißt, der Bedrohung unserer Demokratie durch Hass, Hetze und Desinformation beharrlich entgegenzuwirken in Erinnerung an die Kämpfe, Botschaften und Visionen von Ferdinand Freiligrath, Karl Schurz, Robert Blum, Theodor Althaus und vielen anderen Wegbereitern der Demokratie.
Leitartikel von Theodor Althaus in der Bremer Weser-Zeitung vom 22. März 1848 „Die Berliner Revolution“
Blogartikel zum 18. März 2019 in Berlin: Es ist wieder März geworden