Die Ausstellung im Kölner Stadtmuseum ist ein willkommener Anlass, mal wieder durch das Eigelsteinviertel zu bummeln, in dem ich ein paar Jahre gewohnt habe. Meine kleine Tour beginnt am Hansaring, führt durch den Park am Klingelpütz, der seinerzeit noch hier stand und aus dessen vergitterte Fensterchen manch sehnsüchtiger Blick den Vorübergehenden traf, nach Überquerung der Plankgasse in die Cordulastraße, über die Eintrachtstraße zur Ursulakirche. Durch die Ursulagartenstraße erreiche ich die Eintrachtstraße in Höhe der Bahnunterführung schräg gegenüber dem Haus Nr. 72 – 78, Anfang der Siebziger mein Domizil. Dann geht’s durch die Unterführung hindurch zum Eigelstein, von wo ich zurückblickend mein Wohnhaus ein wenig entfernt rechts hinter der Bahntrasse erahnen kann.
Dort, wo die benachbarte Weidengasse in den Eigelstein mündet, ist noch immer ein Supermarkt, jetzt ein „KARADAG“. War der Platz vor dem Supermarkt, die Stelle, an der Eintrachtstraße, Weidengasse und Eigelstein zusammentreffen, eigentlich früher schon verkehrsberuhigt? War es überhaupt ein Platz? Ich kann mich nicht erinnern, taste langsam weiter zum Norden in Richtung Tor, bleibe unter dem Straßenschild „Unter Krahnenbäumen“ stehen und überlege, ob es die stark befahrene Straße, die das schöne Sträßchen an dieser Stelle so ungemütlich macht, schon gab.
Mein nächstes Ziel ist der Stavenhof, den ich vor einigen Jahren schon mal zum Besuch der „UnsichtBar“ durchwandert habe. Das Kopfsteinpflaster wird es wohl immer gegeben haben. Jedenfalls schön, hier langzugehen. Auf dem gemütlichen Platz am Ende der Gasse, wo das Dunkelrestaurant war, ist jetzt eine Galerie, heute mit Sommerfeeling im Draußencafé. Und beim Zurückgehen entdecke ich zum ersten Mal das Schild „Anno Pief“. Meine Güte, war ich blind all die Jahre.
Auch für die Eigelsteintorburg war ich wohl blind, sehe zum ersten Mal die Skulptur vom „Kölsche Boor“ und überlege, wie oft ich auf dem Weg zur Straßenbahn am Hansaring, dem Theodor Heuss Park oder zur Neusser Straße dieses Tor (mit dem Gitter?) durchschritten haben muss, wie ich es jetzt wieder tue, auf dem Ebertplatz stehe und ,wie im „Stüverhof“, Sommerfeeling unter Bäumen im Draußencafé erlebe. Und dann noch ein Blick zurück vom Norden auf den Eigelstein, die Menschen, parkende Autos, die Läden, ja, ja, die Zeiten ändern sich.
Heute wohnt der Schriftsteller Navid Kermani mit seiner Familie im Eigelsteinviertel. Er hat dazu einen wunderbaren Text geschrieben, den ich im Buch zur Ausstellung gefunden habe und aus dem ich hier zitiere:
„Ich gehe durch das Viertel, ich höre hier etwas Arabisches, dort Polnisch, links eine Sprache, die nach dem Balkan klingt, Türkisch sowieso, vereinzelt Persisch, das mich aufhorchen lässt, sonst Französisch von Afrikanern, Asiatisch, Deutsch in den unterschiedlichsten Färbungen und Qualitäten. Ich verstehe die Hälfte nicht, wirklich die Hälfte. Und von der Hälfte, die ich verstehe, versteh ich meist nur die Hälfte, weil es schon wieder hinterm Fenster oder der Ladentür verschwunden ist, schlecht artikuliert oder zu weit entfernt, ich zu schnell vorbei oder die anderen zu schnell vorbei an mir. Ich führe die Sätze selbst zu Ende oder denke mir ihren Anfang, ich stelle mir Geschichten vor, die nicht in Deutz oder im Zweiten Weltkrieg spielen, sondern in chinesischen Provinzstädten, an nigerianischen Universitäten, in Booten, Containern und Abflughallen, in denen das Herz rast.
aus: Navid Kermani „Dein Name“ erschienen im Carl Hanser Verlag 2011″
aus:
Drunter und Drüber
Der Eigelstein
Schauplatz Kölner Geschichte 2
Begleitband zur Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums
und des Römisch Germanischen Museum der Stadt Köln
im Kölnischen Stadtmuseum
vom 13. Dezember 2013 bis 27. April 2014
J.P. Bachem Verlag
Fotos: Renate Hupfeld am 21. April beim Kölner Stadtmuseum und am 20. Mai 2014 im Eigelsteinviertel