Dass Ruprecht Frieling ein guter Schatzfinder ist, weiß ich schon aus Publikationen wie „Weltende“ und „Hab Sonne im Herzen“. Diesmal hat er eigene Schätze ausgegraben und zwar aus aus seiner Zeit als Reisekorrespondent zu Beginn der Achtziger Jahre. Der junge quirlige Journalist reiste im Auftrag von auflagenstarken westdeutschen Magazinen in die DDR, um zur dortigen Buch- und Kulturwelt zu recherchieren. Eine handverlesene Auswahl seiner Artikel und Interviews präsentiert er uns im Buch mit dem bezeichnenden Titel „Tausche Zement gegen Hemingway“.
Und wenn man sich mit ihm auf die Zeitreise begibt, hat man unwillkürlich die Frage im Kopf: Wie habe ich diese Zeit eigentlich erlebt? Hatte ich überhaupt mitbekommen, dass es in der Leipziger Innenstadt Buchmessen gab und dass 1982 gleichzeitig ein Luther- und ein Goethejahr war? Undenkbar im anderen Teil von Deutschland. Doch der war von meiner rheinhessischen Dorfidylle weit entfernt und wenn ich über den Tellerrand hinausblicken wollte, fuhr ich nach Mainz, Wiesbaden oder Frankfurt, um in Klamotten-, Buch- und Schallplattenläden reichlich Stoff zu finden. Da gab es alles, was frau sich wünschte, seien es Wranglerjeans, Bücher von Carl Rogers, Rowohlts „Neue Frau“, selbstredend das gesamte Programm von Hemingway und Elpis (LPs), wie zum Beispiel die „Odyssee“ vom kleinen Udo, der mit Rockband und leckerem Fläschchen Cognac den „Sonderzug nach Pankow“ nehmen und in Ostberlin auftreten wollte.
In diesem Song traf Lindenberg den Nerv derjenigen, die sich schon lange fragten, ob „Honey“ (Erich Honnecker) und seine Gefährten das Ideologie- und deutsch-deutsche Grenzgehampel nicht langsam selber lächerlich fänden. Nein, sie fanden es normal, dass im Jahre 1982 zum Beispiel entsprechende Gebäude (aber nur die) in den Städten Weimar, Eisleben und Wittenberg goethe-, luther- und ideologiegerecht aufgeputzt wurden und dass weder im Karl May Museum noch in der gesamten Republik ein einziges Buch dieses in Radebeul aufwändig zelebrierten Autors zu kaufen war.
Ich erlebe ganz neue Facetten unseres inzwischen untergegangenen Nachbarlandes, die ich mir zu der Zeit nicht entfernt vorstellen konnte. Mangel war die Regel, und das beim großen Lesehunger des Volkes, das vor dem Buchladen am Ostberliner Alexanderplatz Schlange stehen und warten musste, bis endlich ein Einkaufskörbchen frei wurde und dann doch nur selten das Gesuchte fand. Dafür jedoch gab es reichlich Lesestoff, den man nicht suchte, der aber den Verantwortlichen zur politischen Erziehung wichtig war.
Als gut bewachtes und ideologisch eng begleitetes „Feindobjekt Westjournalist“ reiste Frieling nach Erfurt, Weimar, Halle und immer wieder nach Ostberlin und bewegte sich geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Sachbericht und Systemkritik. Den Schalk im Nacken forderte er seine teils sympathischen, teils sperrigen Gesprächspartner heraus, immer auf der Hut, nicht über das Ziel hinauszuschießen und somit künftige Rechercheprojekte zu gefährden.
Mein Fazit: Dieses Buch von Ruprecht Frieling hat mich sehr gut informiert über einen ganz wichtigen Teil deutscher Vergangenheit und es hat mich zum Nachdenken gebracht dahingehend, dass ich in Zukunft manche Gegebenheiten deutsch-deutscher Gegenwart differenzierter mit mehr Hintergrundwissen betrachten werde.
Tausche Zement gegen Hemingway: Berichte zur Literaturgeschichte der DDR
Den meisten Zeitgenossen im Westen war absolut unbekannt, was hinter dem „Eisernen Vorhang“ abging und was die Menschen, die dort lebten, lasen. Insofern ist eine derartige Zeitreise ein großes Vergnügen in eine Bildungslücke 😉