„Er selbst beschrieb sich als Spiegel und bewegte sich in einem Spektrum vermeintlicher Banalität und Teilnahmslosigkeit, welche seine eigene Ausrichtung bewusst und erfolgreich verschleierten.“ Zitat aus dem Begleitheft zur Ausstellung „Andy Warhol Now“ im Museum Ludwig vom 12. Dezember 2020 bis 13. Juni 2021. Ich hatte das Glück, am vorletzten Tag mit Timeslot-Ticket, Corona Impfschutz und FFP2 Maske „Andy Warhol Now“ zu erleben.
Dass die Ausstellung chronologisch aufgebaut war, erleichterte den Zugang zu diesem Künstler, dessen Leben und Schaffen doch rätselhaft ist. Andy Warhol passt so richtig in keine Schublade. Pop Art. Okay. Doch da ist noch mehr. So hangelte ich mich durch die von den Kuratoren Stephan Diederich und Yilmaz Duziewior vorgegebene und im Begleitheft nachzulesende Struktur der Präsentation, die ich für diesen Bericht übernommen habe:
1 Pittsburgh. Andrew Warhola wurde 1928 in Pittsburgh geboren, als drittes Kind eines Vaters, der 1909 aus einem Dorf in den Karpaten in die Vereinigten Staaten eingewandert war und dessen Ehefrau Julia, die 1921 ihrem Mann folgte. Die Familie schaffte den sozialen Aufstieg zum eigenen Haus und konnte den jüngsten Sohn studieren lassen. Andrew wählte den Studiengang „Painting and Design“ am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh.
2 New York. Nach Beendigung des Studiums ging er nach New York. In der queeren Szene der Metropole konnte er als schwuler Mann freier atmen als in Pittsburgh. Er arbeitete als Werbegrafiker, Designer und Illustratur. Für seine Arbeit entwickelte er die spezielle Blotted-Line-Technik, bei der mit Tinte ein Bild auf ein Transparentpapier gezeichnet und das Motiv als Abdruck auf ein Blatt Papier übertragen wurde. Im Selbstverlag gab er Künstlerbücher heraus, zum Beispiel das in der Kölner Ausstellung präsentierte“A Gold Book“. Beschriftet wurden die Arbeiten von seiner Mutter Julia Warhola, die nach dem Tod des Vaters zu ihm nach New York gezogen war, bei ihm lebte und ihm assistierte. Warhols erste Ausstellung zeigt Illustrationen zu Erzählungen von Truman Capote. Inzwischen signierte er als Andy Warhol.3 Pop. Im Jahre 1960 erwarb Warhol in Manhattan ein eigenes Haus. Das war möglich dank seiner Erfolge als Werbegrafiker und Schaufenstergestalter im Kaufhaus Bonwit Teller auf der 5th Avenue. In diesem Umfeld begegnete er Jasper Johns und Robert Rauschenberg, die mit der künstlerischen Bearbeitung von Objekten aus Konsum und Werbung neue Wege gingen.
Mit „100 Campbell’s Soup Cans“ entwickelte Andy Warhol seinen Stil in Richtung Pop Art. Nach den einzeln gemalten Suppendosen entdeckte er mit dem Siebdruck die Möglichkeit, ein Motiv in Serie zu produzieren, so Zweidollarscheine in „Two Dollar Bills“. Als Vorlage diente ein einziger gemalter Geldschein. Interessant auch seine Arbeit „White Brillo Boxes“, Holzwürfel, die auf allen Flächen bedruckt, bemalt und dann gestapelt wurden.
Schließlich entdeckte er die Möglichkeit, anstatt Zeichnungen, Fotomotive als Vorlagen zu nehmen. So entstanden mit dem Siebdruckverfahren „Texan (Portrait Robert Rauschenberg)“, „Silver Liz (Aka Liz Taylor)“ und nach einem Pressefoto „Marilyn Diptych“, bekannte Persönlichkeiten dargestellt und erlebt im Spannungsfeld zwischen Privatleben und Produkt in den Medien.
4 Disaster. Das Drama im Gesicht der trauernden Jacky im „Jackie Triptych“ machte beim Betrachten Gänsehaut. Als Vorlage dienten Warhol verschiedene weit verbreitete Ausschnitte aus Medien nach dem Attentat auf John F. Kennedy am 22.11.1963. Weitere Desaster Motive aus den Medien waren in der Ausstellung zu sehen, so zu Katastrophen wie Flugzeugabsturz, Gewalt bei Protestkundgebungen und Tod.
5 Silver Clouds. Mit der Serie „Flowers“ in Anlehnung an „Flower Power“ als Protest gegen den Vietnamkrieg war Andy Warhol nach den Informationen im Begleitheft zur Ausstellung „auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere“ und so sah er selbst es wohl auch. In Zukunft wollte er sich mehr dem Filmen zuwenden, ein Medium, präsentiert zu Beginn der Kölner Ausstellung mit einer Auswahl „Screen Tests“, gefilmte Portraits.
Auch der im Raum mit den Brilloboxen präsentierte Film „sleep“ ist ein seltsames Werk. Es zeigt einen viele Stunden lang gefilmten schlafenden Mann, musste man nur ein paar Minuten anschauen. Sehr viel Spaß hingegen bereitete der Raum „Silver Clouds“ mit einer Tapete aus rosa Kuhköpfen und mit Helium gefüllten silbernen Ballons, die man beliebig oft in gegen die Decke schubsen konnte.
6 Factory. Wenn Andy Warhol seine Ateliers „Factory“ nannte, bezog sich das auf die Art und Weise, dass seine bildnerischen und filmischen Werke wie in einer Fabrik in Serie entstanden. Sie sei „ein experimentelles Kunststudio und sozialer Raum“ zugleich gewesen, heißt es im Begleitheft. Das ging natürlich nur mit einem Team von vielen Mitarbeitenden für neue Projekte, Besetzungen, Requisiten, Logistik und Buchhaltung.
7 exploding plastic inevitable. Der Raum zeigte eine Multimediashow, gestaltet vom Andy Warhol Museum in Pittsburgh. Exploding Plastic Inevitable (EPI) ist eine Zusammenstellung von Shows, Livemusik-Gigs in Musikclubs und Colleges, Ausschnitten aus Warhols Filmen, überlagert von farbigen Folien und Sroboskoplichtern, laut und schrill. Dabei ist auch die Band „The Velvet Underground“ mit Sänger Lou Reed und Sängerin Nico.
8 selfportrait. Ich zitiere aus dem Begleitheft zur Ausstellung: „Im Gegensatz zur Inszenierung seiner Person im Zentrum der schillernden Silver Factory und dem Aktionismus dieser Jahre nimmt Warhol in „Self-Portrait“ die Pose des Denkers ein. Diese Pose erinnert an Darstellungen der Melancholie. Seine Gesichtszüge haben keinen klaren Umriss. Ohne scharfe Kanten und durch die Überlagerung der Farbschichten wirkt das Gesicht wie weichgezeichnet. Der flächige Auftrag der Farbe im Siebdruckverfahren unterdrückt jede Gestik in der Malerei.“
9 attentat. Im Jahr 1968 mussten Warhol und Mitarbeitende die Silver Factory verlassen. Er zog mit seinem Team um in neue Räume am Union Square. Dort drang am 3. Juni eine Frau namens Valerie Solanas ein und schoss auf ihn. Klinisch tot wurde er ins Krankenhaus gebracht und trotz schwerster innerer Verletzungen retteten die Ärzte sein Leben. Doch er war schwer traumatisiert, körperlich eingeschränkt und misstrauisch geworden.
10 Mutter. 11 Tod. 12 Publikationen. Zu dem Zeitpunkt lebte Mutter Julia Warhola seit mehr zwanzig Jahren bei ihm in New York, hatte ihn versorgt, ihm assistiert und ihm Halt gegeben. Inzwischen hatte sie allerdings selbst Probleme, und zwar mit zunehmender Demenz. Ein Geliebter zog zu Andy Warhol und half ihm, wieder in das Leben und in die Arbeit zurückzufinden, wurde er doch allein durch die tiefen Narben auf der Brust täglich und stündlich an das schreckliche Geschehen erinnert. Das Thema Tod war allgegenwärtig und erst recht, als Julia Warhola im Jahre 1972 starb. Diese erlebte Bedrohung fand Ausdruck in der Serie „Electric Chair“. Da passt das Bild: Warhol als „Invisible Sculpture“ (1985) und die Vision, wie in einer Strahlenmaschine einfach zu verschwinden.
13 Mao. Zurück in die Siebziger. Ein massenhaft reproduziertes Foto von Mao Zedong wurde Vorlage für Warhols massenhafte Produktion von Mao Portraits. Er benutzte das Bild für freie künstlerische Bearbeitung, wenn er den Großen Vorsitzenden mit Lidschatten und grell geschminkten Lippen darstellte. „Warhol erhöht das Bild zu einem Kunstobjekt und banalisiert es gleichzeitig zu einem westlichen Konsumprodukt“, heißt es im Begleitheft.
14 Abstraktion. 15 Andy in Drag. Wie Jackson Pollock mit seinen „Drippings“, so konnte auch Warhol mit den „Piss Paintings“ seltsame Blüten der Abstraktion produzieren. Beim „Oxidation Paintings“ bleibe ich jedoch auf Abstand. Fotos von „Andy in Drag“ präsentieren das Covermotiv für den Katalog zu „Andy Warhol Now“. Anspielung auf die Queerness? Das Foto zeigt einen als Kunstfigur verkleideten und geschminkten Andy Warhol.
16 Stitched Photographs & Plattencover. Merkwürdigkeiten wie mit der Nähmaschine zusammengenähte Fotografien und Warhols Perücken sind in der Ausstellung zu sehen. Außerdem eine große Auswahl der von ihm in Jahrzehnten gestalteten Plattencover zum Beispiel zu Alben von Velvet Underground und den Rolling Stones. Da sehen wir schöne Portraits von Mick Jagger, Debbie Harry und John Lennon.
17 Gesellschaftsportrait. „Geldverdienen ist eine Kunst, und Arbeiten ist eine Kunst, und ein gutes Business ist die größte Kunst“, wird Andy Warhol zitiert. Portraits in Siebdrucktechnik verkaufte er als Plattencover sowie für die Wohnzimmer reicher Abnehmer*innen. Damit konnte er Projekte wie das Magazin „Interview“ finanzieren und verschiedene Fernsehshows, eine Auswahl war Besuchern der Ausstellung zugänglich.
18 80er. Warhol produzierte Formate wie „Andy Warhol’s TV“ und „Andy Warhol’s fifteen Minutes“. In dieser Zeit entstand das merkwürdig auffällige Selbstportrait, ein Gesicht in knallroter Farbe auf schwarzem Grund umgeben von wild in die Luft schießenden Haaren mit einem Ausdruck zwischen schlimmstem Horror und absoluter Leere. Mitte der Achtziger entstanden auch Andy Warhols Bearbeitungen von Leonardo da Vincis „Das letzte Abendmahl“.
Die Fotos entstanden bei meinem Besuch der Ausstellung „Andy Warhol Now“ im Museum Ludwig am 11. Juni 2021