Wer war dieser Autor, dem am 15. März 2011 für seinen Roman Sand der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen wurde, der ihn jedoch nicht persönlich entgegen nahm und beim Gespräch auf dem blauen Sofa nicht dabei war? War er wirklich zu krank oder war sein Nichterscheinen vielleicht eine Promotionstrategie? Beides war für mich möglich in dem Moment, als ich in der Glashalle zuschaute, wie der Moderatur und ein Freund des Autors versuchten, ein Gespräch über das Buch zu führen. Ratlosigkeit schwang für mich mit. Und wie betroffen, ja beschämt, war ich jetzt, als ich erfuhr, dass Wolfgang Herrndorf am 26. August 2013 in Berlin gestorben war.
Als ich dann auf sein Weblog aufmerksam wurde und begann, seine Eintragungen zu lesen, war ich nicht nur unglaublich berührt, sondern gleichzeitig geschockt und schwer beeindruckt angesichts der Sprachgewandtheit und des sprudelnden Wortwitz von Wolfgang Herrndorf. Ja, dieser Wortkünstler hatte den Preis mit Sicherheit verdient. So erschütternd es ist, zu lesen, wie ein junger Mensch plötzlich von einem Monster beherrscht wird und seine Lebensfunktionen nach und nach schwinden, so tröstend andererseits, einen bis dahin fremden Menschen sympathisch zu finden und ihm so nahe zu kommen. Da ist diese liebenswerte Art von Humor, die es einem erleichtert, die ungeheuerlichsten Gegebenheiten und fiesesten Facetten des Krankheitsverlaufes mitzuerleben. Ja, diese Leichtigkeit, die er selbst angesichts des unaufhörlich sich nähernden Todes nicht verliert. Kein Jammern, warum gerade er. Kein Hadern. Und das Monster macht es ihm verdammt schwer. Jeder muss einsehen, dass er sich aus der Öffentlichkeit zurück zieht, keine Fragen, keine Interviews. Nein, Mitleid will er nicht, Mitleid macht ihn wütend. Ganz normal soll man mit ihm umgehen. Hilfe? Klar, wenn er denn Hilfe braucht. Und das ist in zunehmendem Maße der Fall. Wenn ihm ein Wort nicht einfällt, wenn er seinen eigenen Text nicht mehr lesen kann, wenn er nicht mehr nach Hause findet. Dem fiesen Monster zum Trotz arbeitet er bis an die Grenze der Belastbarkeit weiter an seinem Wüstenroman. Und er kann Sand trotz Operationen und belastenden Therapien vollenden. Nur hat er dann kaum noch die Kraft, sich über den Erfolg zu freuen. Mit keinem Satz erwähnt er den Leipziger Preis. Viel zu intensiv ist er beschäftigt damit, seinen Alltag zu bewältigen und sein Leben selbstbestimmt weiter zu führen.
Ein Frühling und ein Sommer blieben ihm noch, als er 18. Februar 2013 schrieb:
Ich kann den heutigen Abend in Gedanken berühren. Dahinter ist nichts.
aus: Arbeit und Struktur
Wolfgang Herrndorf (*12. Juni 1965 +26. August 2013) R.I.P.